Cagot
verblassenden blauen Fleck auf ihrer Stirn, und seine Miene verdüsterte sich.
»Aii. Amy. Aiii. Es tut mir schrecklich leid. Lo siento. Ich habe gehört, was im Bilbo passiert ist.« Der alte Mann schauderte vor Bedauern. »Aber was soll ich machen? Mein Sohn … mein schrecklicher Sohn. Er macht mir Angst. Aber, Amy, sag mir, was ich tun soll, und ich werde es tun.«
Amy beugte sich vor und schloss ihn aufmunternd in die Arme.
»Es geht mir gut. David hat mir geholfen. Wirklich, Jose.«
»Aber Amy. La violencia? Diese furchtbare Brutalität ist einfach unerträglich!«
»Jose!« Amys Reaktion war erstaunlich heftig. »Bitte. Mir fehlt absolut nichts.«
Das Lächeln des alten Mannes kehrte zurück.
»Dann … lasst uns jetzt nach drinnen gehen. Das Essen wartet bereits! Immer müssen wir essen. Wenn es Ärger gibt, müssen die Basken essen. Kommen Sie rein, Davido. Es ist aufgetischt, dass sogar die Jentilaks des Waldes ihre Freude hätten.«
David kam nicht mehr dazu, weitere Fragen zu stellen; nachdem sie sich gesetzt hatten, wurde schon das Essen gebracht.
Fermina, Joses deutlich jüngere Frau, erwies sich als fabelhafte Köchin; mit dunklen Augen und reifenbehängten Armen trug sie aus ihrer winzigen Küche traditionelle baskische Gerichte auf, die von Jose enthusiastisch vorgestellt und erklärt wurden. Es gab feurige Spießchen mit Espelette-Chilis und Tripotx, Lammblutwurst aus Biraitou; es gab Gerezi beltza arno gorriakin, eine tiefrote Kirschensuppe mit einem weißen Klacks Creme fraiche obendrauf; dann »Wangen vom Seehecht«, mit Oliven dekoriert; und zum Nachtisch geschmeidige Kanougas, Schokoladentoffees, weichen Turron-Nougat aus Vizcaya und Schafskäse aus Irauty mit einem Tupfer Kirschmarmelade, und alles hinuntergespült mit Krügen verschiedener baskischer Cidres, rot und grün und gelb und schäumend - und sehr alkoholhaltig.
Zwischen den Gängen des gigantischen Mahls redete und redete Jose; er erklärte ihnen die Ursprünge der Baskenmütze bei den Hirten von Bearn, er ließ sich über die Schönheiten der Widderkämpfe von Azpeita aus, er zeigte David ein hochgeschätztes Ormolu-Kruzifix, das dereinst von Papst Pius X. gesegnet worden war, er erzählte in geheimnisvollen Andeutungen von den angeblich von legendären Riesen errichteten Cromlechs in den Wäldern von Roncesvalles und von den mythischen Mauren, den Jentilaks und Mairuaks.
Es war anstrengend, aber auch fesselnd, geradezu hypnotisch.
Am Ende fühlte David sich vollgefressen, betrunken und wie ein Hobbylinguist. Seine ständig präsente Angst und den eigentlichen Grund seines Besuchs hatte er fast vergessen. Aber nur fast. Ganz konnte er nicht vergessen. La violencia, la violencia.
Es war schwer, das zu vergessen.
David sah Amy an. Sie schaute aus dem Fenster.
Jose trank einen Sherry. Fermina war in der Küche; sie schien Kaffee zu machen. Der Moment war gekommen. David brach das Schweigen und fragte Jose, ob er seine Geschichte hören wolle, den Grund für seine Reise nach Spanien. Jose lehnte sich zurück.
»Selbstverständlich! Aber wie ich in meiner SMS geschrieben habe, kenne ich die Antwort wahrscheinlich schon. Ich weiß, warum Sie hier sind!«
David sah den alten Mann an.
»Aha?«
Er machte eine bedeutungsschwere Pause. »Ich kannte Ihren Großvater. Als mir Amy gesagt hat, dass Sie Martinez heißen, war mir alles klar.«
»Woher? Wann?«
»Das ist schon lange her - viele, viele Jahre!« Das Lächeln des alten Manns war unerschütterlich. »Wir waren Jugendfreunde … in Donostia, vor dem Krieg. Dann flohen unsere Familien 1936 nach Frankreich. Nach Bayonne. Wo es die jüdische Schokolade gibt. Die beste Schokolade der Welt!«
David beugte sich vor und stellte die zwangsläufige Frage.
»War mein Großvater Baske?«
Jose lachte mit einem tadelnden Gesichtsausdruck - als könnte er nicht verstehen, wie man so eine dumme Frage stellen konnte.
»Aber natürlich! Ja. Hat er Ihnen das nicht erzählt? Das ist typisch. Er war ein Mann voller … Rätsel. Doch, ja, er war Baske! Und seine junge Frau auch! Wie hätte es auch anders sein sollen?« Jose warf Amy einen vorwitzigen Blick zu, dann sah er wieder David an. »Also, David Martinez. Sie sind Baske, zumindest zum Teil, ein Mann aus Euskadi! Sie dürfen am San-Fermin-Tag die Txistu spielen! Und, habe ich jetzt alle Ihre Fragen beantwortet? Ist das Rätsel damit gelöst?«
Ein paar Sekunden saß David stumm da und versuchte, zu verarbeiten, was er gerade
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