Cagot
Jose herauszubekommen, obwohl er mit Sicherheit mehr wusste. Der Geschmack des Kaffeesatzes ließ David zusammenzucken, als er seine Tasse austrank. Dann schaute er auf Amys Telefon und zuckte noch einmal zusammen.
Das Handy.
Es durchfuhr ihn wie ein Stromschlag. Er griff nach Amys Handy und sah sie an. »Jetzt ist mir alles klar!«
»Was?«
»Deshalb schafft er es immer wieder, uns aufzuspüren. Wegen des Handys. Er benutzt es, um uns zu orten.«
»Wie bitte?«
»Handys lassen sich doch orten, oder? Mittels Triangulation. Es ist ganz einfach.«
»Wie …«
»Wir sind hier im französischen Baskenland. Hast du doch selbst gesagt. Die ETA hat hier überall Sympathisanten, sogar bei der Polizei. Warum nicht auch bei den Mobilfunkanbietern? Bei den Telefongesellschaften?«
Ihr Blick kehrte sich nach innen.
»Ich habe vor der Hexenhöhle telefoniert.«
»Genau. Er kennt deine Nummer. Und nachdem du jetzt gerade Jose angerufen hast, weiß er auch, dass wir in Mauleon sind. Wahrscheinlich ist er bereits auf dem Weg hierher.«
Ein frischer Wind strich über die Terrasse. David stand auf - er öffnete das Handy und nahm die SIM-Karte heraus. Dann holte er aus und warf das kleine Plastikteil in den Fluss. Amy beobachtete ihn nur verdutzt. Er klappte das Handy wieder zu und gab es ihr zurück. »So. Und jetzt lass uns schleunigst verschwinden. Hast du schon gepackt?«
»Ist bereits alles im Auto, zusammen mit deinen Sachen. Aber warum …?«
»Wir können uns jederzeit eine neue SIM-Karte besorgen! Aber jetzt komm!«
Sie gingen von der Hotelterrasse zum Auto und fuhren los. David deutete beim Fahren blindlings auf die Karte. Er fuhr fast hundert. »So. Amy … überleg dir bitte schon mal, wie wir am besten fahren. Aber möglichst im Zickzack, damit nicht gleich erkennbar wird, wohin wir unterwegs sind. Wir sehen uns diese Kirchen an. Jetzt sofort.«
Amy holte die alte Karte heraus und begann, die blauen Sternchen zu studieren. Vor ihnen breiteten sich dichte Wälder aus. Die fernen Berge waren schneebedeckt, wie eine Reihe Ku-Klux-Klan-Mitglieder.
Der Ort Savin war leicht zu finden. Eine Stunde schneller, nervöser Fahrt brachte sie zu dem kleinen Ort, der über Weinbergen und grauen Gehöften auf einem Bergkamm thronte. Sie parkten in einer Seitenstraße und blickten sich aufmerksam um. Nach Miguel. Nach dem roten Auto. Es war niemand zu sehen.
Als sie die Kirche von Savin betraten, stieg David der Geruch von Weihrauch in die Nase. Ein paar amerikanische Touristen fotografierten die prächtige Orgel. David fiel ein primitives altes Weihwasserbecken auf, das von drei Steinfiguren gehalten wurde. Drei Bauern mit unendlich traurigen Gesichtern.
David ging durch das Mittelschiff in den Altarraum, auf dessen steinernen Bodenplatten sich die zarten Farben der Kirchenfenster spiegelten. Er betrat eine Seitenkapelle mit einem Porträt Pius’ X.; der Papst blickte gestreng durch den weihraucherfüllten Grabesdämmer.
David sah sich weiter in der Kirche um, ohne dass ihm etwas Besonderes auffiel. Amy hatte bereits aufgegeben und saß in einer Kirchenbank. Sie wirkte abgespannt und müde.
Plötzlich stutzte David. Hatte das vielleicht etwas zu bedeuten?
In der Kirche gab es eine zweite Tür. Warum zwei Kirchentüren, und eine deutlich kleiner als die andere? Er blieb stehen und blickte sich um. Die zweite, kleinere Tür, niedrig und sehr schlicht, war in die Südwestecke der Kirche gezwängt. Musste das überhaupt etwas zu bedeuten haben? War es vielleicht ganz normal, dass Kirchen zwei Türen hatten?
David näherte sich der kleineren Tür und fuhr mit der Hand über den uralten kalten Stein der Laibung. Der graue Granit war von langer Abnutzung geglättet. Die eiserne Klinke war rostig, und in den Türsturz waren kunstlos drei pfeilförmig zusammenlaufende Linien gemeißelt, deren Spitze nach unten zeigte.
David machte einen Schritt zurück und stieß fast mit einem Priester zusammen, der plötzlich hinter ihm aufgetaucht war.
»Äh, l‘e m’excuse … Entschuldigung …«, stammelte er.
Der Geistliche bedachte ihn mit einem kurzen wachsamen Blick, bevor er unter dem leisen Rascheln seines Ornats weiter das Kirchenschiff hinunterging.
Gebannt blickte David wieder auf den Pfeil. Er musste an das Weihwasserbecken in Lesaka denken. Auf einem der zwei Weihwasserbecken der dortigen Kirche war ein ähnlich primitiver Pfeil gewesen: drei in den Stein gemeißelte Linien, die am oberen Ende zu einer Spitze
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