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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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Nähe an. Die winzige Tür wirkte sehr, sehr alt, ihre Steinlaibung war schief, das braune Holz morsch, und doch wirkte die Tür noch sehr stabil. Fest verschlossen. Jahrhundertelang.
    David nahm sie genauer in Augenschein. In den steinernen Türsturz war etwas gemeißelt.
    Hastig riss er die letzten Efeuranken beiseite, und ein Symbol mit einer Inschrift kam zum Vorschein.
    »Hier«, stieß er aufgeregt hervor. »Wieder dieser eigenartige Pfeil, den wir auch in den anderen Kirchen gesehen haben. Auf dem Weihwasserbecken und an den Türen. Wieder so ein Pfeil.«
    Amy schüttelte den Kopf.
    »Das ist kein Pfeil.«
    »Aha?«
    »Ich weiß, dass das kein Pfeil ist.«
    »Und woher willst du das wissen?«
    »Weil ich mich erinnert habe, dass es so einen Pfeil auch an einem Haus in Elizondo gibt. Ich bin einmal mit Jose daran vorbeigegangen. Obwohl es schon einige Jahre her ist, weiß ich noch genau, wie ausweichend er reagiert hat, als ich ihn nach der Bedeutung dieses Zeichens gefragt habe. Jedenfalls fand ich seine Reaktion damals irgendwie eigenartig.«
    »Und was …«
    »Ich erinnere mich nur noch, wie er das Zeichen nannte. Patte d’oie. Ich erinnere mich vor allem deshalb so genau, weil er den französischen Begriff verwendete.«
    »Patt - was heißt das? Patt…?«
    »Patte d’oie. Gänsefuß. Ein uraltes Symbol.« Amy wischte etwas Schmutz von den grob in den Stein gemeißelten Linien. »Das ist ein Gänsefuß, kein Pfeil. Ein Gänsefuß mit Schwimmhäuten.«

15
     
    Inzwischen befanden sie sich auf der Schlussetappe: auf dem Weg zum letzten der auf der Karte eingezeichneten Orte. Sie näherten sich dem Mittelpunkt des Labyrinths. Navarrenx. In der Nähe von Gurs.
    Navarrenx lag relativ weit im Norden, weshalb sie unterwegs tankten. Als David auf das kleine Tankstellenhäuschen zuging, um zu zahlen, kreisten seine Gedanken um die Kirchen, die sie in den vergangenen Stunden aufgesucht hatten. Kleinere Türen, kleinere Friedhöfe, kleinere Weihwasserbecken. Warum?
    Er konnte keinen Sinn darin erkennen. Warum war alles auf diese seltsame, fast diskriminierende Art in doppelter Ausführung vorhanden? War es eine andere Form von Apartheid, wie die getrennten Bänke für Weiße und Schwarze im Alabama der fünfziger Jahre? Wie im alten Südafrika?
    Oder steckte etwas anderes dahinter? Waren diese kleineren Türen vielleicht für … kleinere Menschen gedacht gewesen?
    Aber auch das schien abwegig; kleinere Menschen konnten problemlos normale Türen benutzen.
    Eine Türglocke ertönte, als David die Tankstelle betrat; er ging an die Kasse und kaufte Amy eine neue SIM-Karte und auch gleich noch ein neues Handy - für alle Fälle. Der Tankstellenbesitzer aß ein Baguette mit tiefroter Saucisson, während er die einzelnen Posten eintippte. David warf einen besorgten Blick auf den Endbetrag, doch dann fiel ihm ein, dass er sich wegen Geld keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Er hatte sich noch nicht an den Gedanken gewöhnt.
    Wieder im Auto, fuhren sie in nachdenklicher und gedrückter Stimmung weiter, und David spürte deutlich, wie sich seine Trauer auf dem Weg zu ihrem letzten Ziel verdichtete. Er musste ständig an seine Eltern denken. Und während die Berge im Rückspiegel immer weiter zurückwichen und kleiner wurden, türmten sich die Erinnerungen in seinem Kopf immer höher auf.
    Den Kleinkindermund von rosaroter Zuckerwatte umwölkt, saß er auf den kräftigen Schultern seines Großvaters. Der blaue Pazifik glitzerte, seine Mutter war jung und ging neben ihm her, sein Vater war auch da und lachte. Wann war das gewesen? Was hatten sie dort gemacht? Wie alt war er damals gewesen? Fünf? Sieben? Neun? Die Erinnerung war zu verschwommen, zu verblasst, um es deutlich erkennen zu können.
    Und das Quälendste war: Er hatte niemanden, den er fragen konnte. Das war das Schlimmste. Er konnte nicht einfach seine Mutter anrufen und fragen: Wann war das; er konnte nicht seinen Großvater fragen: Warum haben wir das getan? Es war niemand mehr da, der ihm Fragen beantworten, seine Kindheit erklären, über lustige Erlebnisse lachen und Erinnerungen mit ihm austauschen konnte. Er war von allen alleingelassen, und umso wildentschlossener war er, den Grund dafür zu erfahren. Sein Großvater hatte ihn aus einem ganz bestimmten Anlass hierhergeschickt, und dieser musste die Erklärung für alles beinhalten.
    Anders konnte es gar nicht sein.
    David schloss die Hände fester um das Lenkrad. Kurz vor Navarrenx kamen sie durch das

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