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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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Ende eines kleinen Seitentals lag. David ließ das Fenster herunter und blickte sich erstaunt um, während sie langsam die Hauptstraße entlangfuhren.
    Es gab kein Haus, von dem ihnen nicht aus einer Tür oder einem Fenster eine große Stoffpuppe entgegengrinste. Im Schaufenster eines kleinen Ladens saß eine ganze Gruppe von ihnen. Eine mannsgroße Puppe, sie war von einem hohen Fenstersims gefallen, lag mitten auf der Straße - und starrte zu den schroffen Pyrenäengipfeln hinauf, die Campan umringten.
    Amy betrachtete die Puppen verständnislos.
    »Was soll das jetzt wieder?«
    Sie parkten in einer Seitenstraße und gingen zu Fuß zum verlassenen Dorfzentrum weiter. Am geschlossenen Fensterladen der winzigen Touristeninformation, an der sie vorbeikamen, hing ein maschinengeschriebener Aushang. Amy las ihn laut und übersetzte ihn dann für David: Das Stoffpuppenfest blickte auf eine lange Tradition zurück; schon seit Jahrhunderten fertigten die Bewohner des kleinen Bergdorfs Campan sogenannte Mounaques an und stellten die lebensgroßen Puppen im September im ganzen Dorf aus.
    Es war ein Puppendorf. Ein Dorf teilnahmsloser, stummer Puppengesichter, deren grundloses Grinsen etwas Spöttisches und fast Bedrohliches hatte.
    Nicht dass da jemand war, der sich beleidigt oder gar bedroht hätte fühlen können. Campan war verlassen, die Häuser verriegelt und verrammelt, die Straßen leer und still. Lediglich aus einer Pferdemetzgerei kam eine alte Frau; sie blickte kurz in ihre Richtung, runzelte die Stirn und verschwand um die nächste Ecke.
    Sie erreichten den Dorfplatz. Ein schwermütiges Kriegerdenkmal, eine Bushaltestelle und ein Laden, ebenfalls geschlossen, bildeten das Zentrum des Orts; eine kurze Straße führte zu einer Brücke über den reißenden Adour. Der Ortsteil auf der anderen Seite des Flusses war völlig heruntergekommen, eine Gruppe von Häusern ohne Dächer und eingestürzten Scheunen.
    Campan war wie ausgestorben.
    Die zweite Straße, die vom Dorfplatz abging, führte direkt zur Kirche. Ein rostiges Eisentor öffnete sich auf einen unkrautüberwucherten Friedhof, der von einer hohen grauen Steinmauer umgeben war.
    Die Kirchentür war offen. Das Kircheninnere war mit billigen Plastikblumen geschmückt. In der vordersten Bank saßen vier Puppen und starrten auf den Altar, eine ganze Puppenfamilie.
    David hielt nach Gegenständen Ausschau, die in zweifacher Ausführung vorhanden waren, konnte aber keine entdecken. In Campan gab es ein Weihwasserbecken, eine Tür, eine Kanzel und vier Stoffpuppen, die grinsten wie Kretins, durch Inzucht entstandene Behinderte.
    Nicht zwei.
    Vielleicht spürte Amy seine Frustration, denn sie legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Vielleicht ist es komplizierter …«
    »Nein. Ich bin sicher, dass es so ist. Zwei. Es kann gar nicht anders sein.« Das stieß er so wütend hervor, dass Amy zusammenzuckte. Er entschuldigte sich sofort und ging mit dem Hinweis, er müsse dringend etwas frische Luft schnappen, auf den Friedhof hinaus. Das trübe graue Herbstlicht hatte etwas Bedrückendes, aber besser als die klamme Düsternis in der Kirche war es allemal.
    David atmete ein, atmete aus, kam langsam zur Ruhe. Blickte sich mit wachen Augen um. Dachte nach. Die fernen Berggipfel spähten über das verputzte Mauerwerk der Friedhofsmauer.
    David starrte auf die Mauer.
    Falls es irgendwo eine zweite Tür gab, befand sie sich vielleicht in dieser seltsamen burgartigen Mauer, die den ganzen Friedhof umgab.
    Die vor Nässe triefenden Dornenranken, die sich wuchernd zwischen den Gräbern ausbreiteten, stellten sich seiner Suche stachlig in den Weg. Riesige Spinnen flohen vor seinen tastenden Schritten.
    »Was machst du da?«
    Amy war ihm nach draußen gefolgt.
    Ohne sich umzudrehen, hob er die Hand.
    »Ich suche … nach Türen. In dieser Mauer. Was Besseres fällt mir im Moment nicht ein.«
    Er stapfte durch das nasse Gestrüpp, walzte wilde Rosen nieder, stieg über umgestürzte Grabsteine. Die Luft war so feucht, dass es wahrscheinlich jeden Moment zu regnen begann; die Gräber fühlten sich schlüpfrig an vor Nässe. Er kletterte und rutschte und suchte.
    Die Mauer war intakt, die uralten Ziegel unangetastet. Plötzlich rief Amy: »Hier!«
    Sie stand ein Stück hinter David und zog ein paar Efeuranken zur Seite, die einen Teil der Mauer verdeckten. Hinter dem Efeu war eine Tür, geschlossen und lange nicht mehr benutzt, aber eine Tür. Er lief zu ihr und sah sie sich aus der

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