Cagot
zusammenliefen. Der Pfeil auf dem Weihwasserbecken in Lesaka hatte allerdings nach oben gedeutet.
Davids Verstand lief längst auf Hochtouren, und die Rädchen des Rätsels begannen ineinanderzugreifen. War da nicht auch die Kirche in Arizkun mit ihren zwei Türen und Friedhöfen gewesen? Wie hatte er bloß diesen zweiten Friedhof vergessen können? Das Bild des Engels, dem ein brauner Zigarettenstummel ins Auge gedrückt worden war, hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingeprägt.
Genauso wie die alte Frau mit dem Kropf, die schimpfend auf sie gedeutet hatte. Kackmenschen, Kackmenschen, Kackmenschen.
Langsam kam er der Sache näher. Wie nah genau, konnte er allerdings nicht sagen. Er wusste nur, dass sich langsam eine Lösung abzeichnete und dass er gerade jetzt nicht den Schwung verlieren durfte. Er winkte Amy - sollen wir gehen? -, worauf sie mit einem matten Lächeln aufstand. Auf dem Weg zum Auto behielt David seine Gedanken zunächst für sich, denn einige davon waren zutiefst beunruhigend. Bestand vielleicht irgendein unseliger Zusammenhang zwischen den Zeichen auf dem Weihwasserbecken und den Zeichen … auf Amys Kopfhaut? Er sah keinen Grund, an der Geschichte zu zweifeln, die sie ihm von Miguel und seinen seltsamen Sexspielen mit einem Messer erzählt hatte. Ihr schmerzliches Geständnis war ganz offensichtlich echt gewesen. Aber die Narben. Die Narben waren eigenartig. Wie die Zeichen, die in die Stirn einer Hexe geritzt wurden, nachdem sie es am Sabbat mit dem Teufel getrieben hatte.
Angesichts dieses Durcheinanders beunruhigender Gedanken begann sich alles in Davids Kopf zu drehen, als sie über den gekiesten Parkplatz gingen. Alles war grau in grau, und es nieselte leicht. Sie sprachen kein Wort, als sie, um Miguel abzuschütteln, in einem wilden Zickzackkurs zur nächsten Kirche fuhren.
Sechzig Kilometer kaum befahrener Straßen brachten sie schließlich auf zahlreichen Umwegen nach Luz Saint Sauveur. Die kurvenreiche Strecke verlief zum Teil zwischen bedrohlich eng zusammenrückenden Felswänden, aus denen gelegentlich schmale Nebenstraßen herausgesprengt waren. Sie näherten sich wieder einmal den Pyrenäen. Die Wolken legten sich um die finster brütenden Berggipfel wie die weißen Spitzenhalskrausen Van Dyck’scher Granden.
Hinter einer letzten Kurve tauchte schließlich in einem üppig grünen Tal das Ziel ihrer Fahrt auf. Im tristen Ortskern von Luz Saint Sauveur umringten uralte niedrige Steinhäuser eine noch ältere Kirche. David parkte direkt vor dem Eingang. Sie stiegen aus und betraten das düstere Gotteshaus. David spürte, dass er der Lösung des Rätsels näherkam, zumindest der Frage nach der Bedeutung der Kirchen.
Außer ihnen waren noch zwei andere Menschen in der Eglise Paroissial von Luz Saint Sauveur. In der hintersten Kirchenbank saßen eine Frau und ein geistig behinderter junger Mann, der ihr Sohn zu sein schien. Seine Augen waren grotesk verdreht, über sein Kinn zog sich, wie die Schleimspur einer Schnecke, ein feucht glänzender Speichelfaden. Das Gesicht der Mutter wirkte frühzeitig gealtert, ausgezehrt von der zermürbenden Sorge um ihren Sohn. Den Kretin. David spürte Mitleid in sich aufkeimen und bedachte die Frau mit einem hilflosen, aber aufrichtigen Lächeln.
Amy sah sich im Altarraum um. Sie wirkte frustriert und entmutigt, als sie zu David zurückkam.
»Ich verstehe das einfach nicht. Da ist nichts. Absolut nichts.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher … vielleicht gibt es sehr wohl etwas.«
»Und was bitte?«
Er sah sie eindringlich an.
»Halte einfach nach Dingen Ausschau, die es in zweifacher Ausführung gibt. Alles, was doppelt vorhanden ist. Zwei Türen, zwei Friedhöfe, zwei…«
»Zwei Weihwasserbecken? Ich habe zwei Weihwasserbecken gesehen. Eins dort drüben und eins …«
Ihre Schritte hallten laut in der steinernen Stille, als sie zu der Stelle gingen, auf die Amy gedeutet hatte.
Und tatsächlich gab es auch in dieser Kirche zwei Weihwasserbecken, eins davon in einer dunklen Ecke, von Spinnweben verhangen und halb verborgen. Seine Unscheinbarkeit hatte fast etwas Mitleiderregendes.
Genau wie in Lesaka.
»Aber … warum zwei?«, fragte Amy. »Warum ausgerechnet zwei?«
»Keine Ahnung.« David zuckte hilflos mit den Achseln. »Aber lass uns einfach weitermachen.«
Nach einer weiteren Stunde Fahrt, die sie wieder in angespanntem Schweigen verbrachten, erreichten sie das Pyrenäendorf Campan, das fernab von aller Welt am
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