Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
genau so hineingekommen sein wie ich, durch die Dachluke. Das war zwischen der ersten und zweiten Stunde der Nacht; da war noch genügend Wasser im Bassin. Eine halbe Stunde später hätte er sich alle Knochen gebrochen. Rufus ist unschuldig. Er kann gar nichts an die Tempelwand geschrieben haben."
„Aber warum ist er bei Lukos gewesen?" rief Flavius.
„Das mögen die Götter wissen!" sagte Mucius. „Er kann nur von Lukos' Haus auf das Dach des Dianabades gelangt sein. Lukos' Haus ist das einzige in der Nähe, das so hoch ist wie das Dianabad."
„Ich glaube, Mucius hat recht", sagte Julius erregt. „Erinnert ihr euch an Rufus' Kleider, die wir unter seinem Bett gefunden haben? Sie waren klitschnaß."
„Natürlich!" schrie Mucius erfreut. „Sie waren naß, weil er ins Dianabad hineingesprungen war."
„Wir müssen sofort etwas unternehmen", sagte Julius.
„Aber was?" rief Flavius.
„Wir gehen zu Livia und erzählen ihr alles", sagte Mucius.
„Was kann Livia schon tun?" bemerkte Publius. „Sie hat doch selber gesagt, daß sie machtlos ist. Der Stadtpräfekt wird sie nicht empfangen, weil er weiß, daß der Kaiser Praetonius nicht leiden kann."
„Gehen wir doch zum Kaiser", schlug Flavius schüchtern vor. „Wenn der Kaiser befiehlt, daß Rufus freigelassen wird, muß der Stadtpräfekt gehorchen."
Das war ein kühner Vorschlag.
„Seht an!" rief Publius. „Flavius entwickelt sich zum Helden!"
„Er hat keine schlechte Idee gehabt", sagte Mucius. „Wir beweisen dem Kaiser, daß Rufus unschuldig ist."
„Das ist alles nicht so einfach", sagte Julius. Dann senkte er die Stimme und fuhr flüsternd fort: „Der Kaiser wird schwer bewacht. Er fürchtet ständig, daß man ihn umbringen will. Man muß erst um eine Audienz bitten, bevor man vorgelassen wird. Das kann Tage dauern."
„Ich weiß, was wir tun", sagte Antonius mit Verschwörermiene. „Was?" fragten die andern, aber sie erwarteten nichts Gutes. Antonius' Vorschläge waren gewöhnlich unbrauchbar. „Wir schreiben ihm einen Brief", sagte Antonius. „Vor einem Brief wird er keine Angst haben."
Die andern waren verblüfft. Antonius' Vorschlag war einleuchtend. Den Brief konnten sie im Palast abgeben, und der Kaiser würde ihn sofort ausgehändigt bekommen.
„Aber wer schreibt?" fragte Flavius.
„Du natürlich", sagte Publius. „Du bist doch der Beste im Schönschreiben in der Klasse. Endlich haben wir auch mal was davon." Flavius protestierte, aber er wurde niedergestimmt. „Worauf soll ich denn schreiben?" jammerte er. „Das werden wir gleich haben", sagte Julius und zog eine Pergamentrolle aus seiner Toga hervor. „Hier ist ein Buch von Ciceros Reden. Ich gebe es sehr ungern her, aber wir können die Rückseite für den Brief benutzen. „Sie ist ziemlich sauber."
Flavius wehrte sich noch immer. „Ein Brief auf der Rückseite eines Buches! Was soll der Kaiser von uns denken!" zeterte er. „Nachher liest er das Buch und nicht den Brief."
„Der Kaiser ist intelligenter als du", sagte Mucius energisch. „Wir können jetzt nicht erst Papier oder Wachstafeln suchen gehen. Dazu haben wir keine Zeit mehr. Wir sind in einer Notlage. Das wird der Kaiser verstehen. Streich die Schrift vom Buch einfach durch!"
Doch das paßte Julius nicht. „Nein, streich sie nicht durch!" rief er besorgt. „Das wäre ein Jammer. Der Kaiser wird es sogar übelnehmen. Er ist ein großer Verehrer von Cicero. Er wird sich freuen über das Buch. Schreib ruhig hinten drauf! Das macht nichts. Und nun sträub dich nicht mehr!"
„Aber was soll ich denn schreiben?" fragte Flavius wehleidig.
„Ich werd' dir diktieren", sagte Julius.
Flavius setzte sich an den Tisch, rollte das Pergament auf, strich es glatt, stellte die Kerze daneben und nahm einen Kohlestift zur Hand. Dann wartete er ergeben auf Julius' Diktat. Julius ging grübelnd auf und ab, schließlich blieb er hinter Flavius stehen und fing an: „Lieber Kaiser!" Aber weiter kam er nicht.Mucius und Publius waren sofort dagegen.
„So können wir den Kaiser nicht anreden", sagte Mucius.
„Wie denn?" fragte Julius beleidigt.
„Ich weiß es!" rief Antonius. „Göttlicher, gnädiger, ruhmgekrönter, hochverehrter, allwissender Kaiser." „Das ist zuviel", meinte Mucius. Nun zankten sie sich, wie man den Kaiser anreden sollte; dann zankten sie sich um jeden Satz, den sie dem unglücklichen Flavius diktierten, und zum Schluß zankten sie sich auch noch um die Unterschrift. Dadurch brauchten sie
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