Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
Spitzbart. „Also, ihr seht: Tellus kann es nicht gewesen sein." „Hypothesen", murmelte Publius ganz leise vor sich hin. Xantippus hörte es zum Glück nicht. „"Wir wollen nun die Situation einmal in einem andern Licht betrachten", fuhr er fort. „Tellus hat den Kurier geschickt, daran ist nicht zu zweifeln. Niemand wird es wagen, den Namen des mächtigen Exkonsuls zu mißbrauchen. Aber Tellus ist vielleicht das ahnungslose "Werkzeug des wirklichen Täters geworden. Ein Verschwender und Sybarit wie er hat viele Kumpane zweifelhaften Charakters. Es ist bekannt, daß er ein großer Verehrer von Schauspielern, Tänzern, Akrobaten und ähnlichen fragwürdigen Geschöpfen ist. Nun weiß ich, daß Tellus in der Nacht der Tempelschändung eines seiner verabscheuungswürdigen Feste gegeben hat. Folgendes wäre also möglich: Einer seiner Gäste hat ihm erzählt, daß er die Tempelschändung entdeckt hat, und hat ihn überredet, den Kurier an die Zeitung zu schicken. Er wußte, daß Tellus als Freund des Kaisers über das Verbrechen empört sein würde. Dieser Mann hatte natürlich gelogen; denn die Tempelschändung war noch gar nicht vollbracht. Aber er verließ bestimmt später heimlich das Fest, um sie auszuführen. Vielleicht hatte er vorher keine Gelegenheit dazu gehabt. Er wollte aber so rasch wie möglich den Verdacht auf Rufus lenken, und deswegen hat er Tellus zu der Zeitungsnachricht veranlaßt, bevor das Büro des Zensors geschlossen wurde. Unsere nächste Aufgabe lautet nun: Wer war dieser Gast?"
Publius meldete sich und sagte: „Tellus hat immer so viele Gäste, daß wir ebensogut den Verbrecher auf dem Forum suchen könnten."
„Zähme deine übermütige Spottlust!" wies Xantippus ihn zurecht. „Du möchtest nur durch Naseweisheit ersetzen, was dir an Verstand fehlt. Ich weiß, daß Tellus viele Gäste hat, aber der Gast, den wir suchen, muß ganz bestimmten Bedingungen entsprechen. Er muß auf seinem Wege zu Tellus am Minervatempel vorbeigekommen sein, sonst hätte er die angebliche Tempelschändung nicht entdecken können. Um eine Lüge glaubhaft zu machen, muß sie logisch klingen."
„Aber in der Nacht ist es doch dunkel. Wie hat er da was sehen können?" rief Caius.
„Ein reicher Mann wird nachts von vielen Sklaven mit Fackeln oder Laternen begleitet", sagte Xantippus. „Und Tellus' Gäste sind alle reich. Es stand natürlich nichts dran am Tempel; er hat die Tat ja erst nachträglich vollbracht. Die Sklaven haben auch nichts gesehen, aber sie waren gewiß nicht dabei, als ihr Herr Tellus anlog." Xantippus erhob sich und hinkte, auf seinen Stock gestützt, zu einem Stadtplan von Rom, der an der Wand hing. „Paßt auf!" rief er. „Um euch verständlich zu machen, was ich damit meine, müßt ihr mir jetzt aufmerksam folgen! Tellus' Villa liegt hier in den Gärten des Lucullus. Tellus' Gäste sind hohe Würdenträger, die fast alle in der Nähe des Kaiserpalastes auf dem Palatinus-Hügel wohnen. Ihr Weg, wie ihr sehen könnt, führt direkt über das Forum, am Kapitol vorbei und durch die Breite Straße zu den Gärten des Lucullus. Niemand wird nachts den sinnlosen Umweg bergauf und bergab über den Esquilinus machen. Gäste, die auf dem Viminalis oder Quirinalis wohnen, kommen überhaupt nicht in Frage, da der Minervatempel in der entgegengesetzten Richtung liegt. Es bleiben also nur noch die übrig, die auf dem Esquilinus wohnen. Der Minervatempel liegt aber so versteckt, daß von ihnen auch nur zwei oder drei möglicherweise am Tempel vorbeikommen. "Wir können unsere Nachforschungen also auf einen ganz kleinen Kreis von Personen beschränken." Xantippus humpelte zu seinem Sessel zurück und setzte sich.
Die Jungen waren von seiner Beweisführung beeindruckt, wußten aber nicht, was sie damit anfangen sollten. „Vielleicht hat der Gast es nicht selber getan, sondern einen seiner Sklaven damit beauftragt?" sagte Julius.
Xantippus schüttelte verneinend den Kopf. „Das ist so gut wie ausgeschlossen", sagte er. „Es gibt ein bekanntes Sprichwort: ,Der gefährlichste Teil eines Sklaven ist seine Zunge.' Kein reicher Mann wird einem Sklaven ein wichtiges Geheimnis anvertrauen, wenn er es nicht unbedingt nötig hat. Er fürchtet sich viel zu sehr, daß der Sklave es weiterschwatzt oder ihn erpreßt. Nein, ein reicher Mann muß seine Verbrechen schon selber begehen, wenn er ruhig schlafen will."
Auch das leuchtete den Jungen ein. Aber wie sollten sie jemals herauskriegen, wer der
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