Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
ich mit dem Brief mein Todesurteil mit mir herumtrug."
Inzwischen hatte Flavius das Messer gebracht. Udo klappte den Mantelkragen hoch, schnitt das Futter auf und zog den Brief heraus. Er gab ihn Xantippus. „Hier, edler Meister, ist der Brief." „Gut", sagte Xantippus. „Geh in die Küche, und nimm dir aus der Speisekammer etwas zu essen. Du mußt hungrig sein." „Danke", sagte Udo begeistert und sauste in die Küche. „Ich bin auch völlig verhungert", sagte Caius seufzend. „Ich auch", sagte Publius. „Ihr könnt nachher zu Hause etwas essen", sagte Xantippus.
„Ich hab' keine Wirtsstube hier. Udo hat kein Zuhause." „Ich will auch nichts essen, bevor ich weiß, was in dem Brief steht", sagte Mucius. „Sehr richtig", stimmten Julius und Antonius bei. Aber so rasch ging das bei Xantippus nicht. Er legte den Brief auf den Tisch und studierte ihn erst einmal von außen. „Er ist zu einem regelmäßigen Quadrat zusammengefaltet", sagte er befriedigt. „Vor allem muß ich das Siegel prüfen", fuhr er fort. Er zauberte einen runden, polierten Smaragd aus einer Schublade hervor, klemmte ihn sich ins rechte Auge und beugte sich über den Brief. „Das Siegel ist echt", verkündete er nach einer Weile. „Ich kenne das Wappen der Familie Pollino: ein Adler mit zwei gekreüzten Schwertern darunter."
„Das ist auch auf Udos Arm eingebrannt", rief Antonius. Xantippus brach das Siegel und faltete den Brief auseinander. Er legte den Smaragd in die Schublade und schob sie zu. Inzwischen platzten die Jungen beinahe vor Neugierde. Sie wollten, bei Pluto, endlich hören, wen die Verschwörer eigentlich umzubringen gedachten.
Xantippus las schweigend den Brief, dann schaute er auf. „In dem Brief ist kein Name eines berühmten Senators genannt, der angeblich ermordet werden soll", sagte er. „Ich werde ihn euch vorlesen:
,Liebe Freunde, geht auf den Viminalis. Gegenüber der Statue von Niobe liegt die Villa, in der Cicero gewohnt hat.
Usipetes Liebe Freunde, vergeßt ja nicht, bevor Ihr Euch auf den Weg macht, mit dem Tempel von Castor und Pollux anzufangen!'"
Xantippus ließ den Brief sinken. „Das ist alles, was in dem Brief steht", sagte er. „Großer Jupiter!" stöhnte Mucius. „Jetzt sind wir genauso schlau wie vorher!"
12. Kapitel
Caius geht ein Licht auf
„Wir werden niemals herausfinden, wer von unseren Vätern ermordet werden soll", sagte Julius sorgenvoll. „Es steht doch klar und deutlich in dem Brief, wer gemeint ist", rief Flavius erregt. „So?" sagte Xantippus gedehnt. „Solltest du doch intelligenter sein, als ich bisher angenommen habe, mein Lieber?" „Es ist Cicero!" sagte Flavius. „Cicero ist doch der berühmteste Senator von allen, nicht wahr?"
Xantippus seufzte. „Leider ist Cicero auf Veranlassung von Mark Antonius schon vor einundsiebzig Jahren umgebracht worden, Flavius. Ich hoffe, du siehst ein, daß es verschwendete Liebesmühe wäre, ihn zum zweitenmal zu ermorden ? Richtig ?"
Flavius schwieg beschämt.
„Meister Xanthos", sagte Mucius, „sollten wir uns nicht von Udo noch einmal ganz genau erzählen lassen, was er auf dem Friedhof gehört hat? Vielleicht hilft uns das irgendwie?"
„Nein", sagte Xantippus. „Wer vorwärts will, darf nicht rückwärts schauen. Wir wollen nicht so rasch alle Hoffnung fahrenlassen, meine lieben Schüler. Mir ist nämlich folgendes aufgefallen : Der Inhalt des Briefes ist scheinbar harmlos, damit er, falls er in falsche Hände gerät, nichts aussagt. Der Inhalt ist aber völlig sinnlos. Es gibt auf dem Viminalis weder eine Statue der Niobe noch eine Villa, in der Cicero angeblich gewohnt hat. Ich frage mich: Warum nennt Pollino gerade diese Namen ? Ich möchte schwören, sie sind eine Art Geheimschlüssel, den die Verschwörer hier in Rom kennen. Wenn es uns gelänge, diesen Geheimschlüssel zu lösen, entdeckten wir den Namen des berühmten Senators."
Udo kehrte leise aus der Küche zurück und setzte sich bescheiden auf einen Hocker im Hintergrund.
„Schauen wir uns diese Namen einmal näher an", fuhr Xantippus fort. „Der erste Name ist Viminalis. Das sagt uns im Augenblick nichts. Viminalis ist einer der Sieben Hügel, auf denen die Stadt Rom gebaut ist. Nummer zwei ist Niobe. Julius, wer war Niobe?"
Julius stand auf und rasselte herunter: „Niobe war der Sage nach die Königin von Theben. Sie war die Tochter von Tantalus. Tantalus war der Mann, der für alle Ewigkeit einen Fels bergauf wälzen muß, der immer wieder
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