Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
gedacht. Würde sie es ertragen, wenn er ihre Schwester heiratete? „Und was hast du mit seinem Herzen vor? Es in deine Sammlung aufnehmen?“
„Abigail, du kennst mich doch besser. Ich denke an Papa, und das solltest du ebenfalls tun.“
„Glaube mir, Helena, ich denke an Vater.“
„Dann tust du es also? Du schreibst diesen Brief?“
„Heute Nachmittag muss ich nach Foggy Bottom.“
„Dann wenn du zurückkommst. Bitte, Abigail! Es würde mir so viel bedeuten.“
„Nun gut, doch nur, wenn du mir sagst, was ich schreiben soll.“ Helena warf ihre Stickerei in den Handarbeitskorb und stand auf. „Ach, wie ich mir wünschte, ich hätte deinen Kopf, um die passenden Worte finden zu können! Du wirst schon genau das Richtige schreiben, das weiß ich, Abigail. Das tust du ja immer.“ Sie umarmte ihre Schwester inniglich und eilte aus dem Raum.
Abigail stand reglos da. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, als den Brief zu schreiben und sehr diskret damit umzugehen. Wie ein ungebetener Gast tauchte plötzlich die Erinnerung an den vergangenen Abend vor ihrem geistigen Auge auf. Da war etwas gewesen, das James Calhoun zu ihr gesagt hatte:
„Weshalb, meinen Sie, heißt es, man sei in Liebe ,entbrannt“? Wenn Sie tatsächlich in Liebe entbrannt wären, würden Sie es merken. Sie würden weinen.“
Abigail weinte nicht, obwohl sie sich danach fühlte. Möglicherweise war es ja das, was Mr. Calhoun gemeint hatte.
Doch woher konnte er das wissen?
6. KAPITEL
P
rofessor Michael Rowans Gesicht wurde vor Anstrengung rot, während er ein Ende des Schiffskoffers hochhob. „Was haben Sie denn da drinnen, Calhoun? In Stein gemeißelte Gesetzesvorlagen?“
Jamie hielt das andere Ende des großen Koffers hoch und trat rückwärts gehend in sein Zimmer. Er stützte den Koffer an seiner Brust ab und stellte ihn dann hochkant gegen die Wand. „Nur den üblichen Krimskrams“, beantwortete er die Frage seines Hauswirts. „Man sagte mir, ich solle mich in diesem Herbst auf eine längere Sitzungsperiode einrichten, und darauf habe ich mich eben vorbereitet.“ Er öffnete die Schlösser des Schiffskoffers oben und an der Seite und klappte die beiden Hälften auseinander. Ein Bücherstapel fiel ihm vor die Füße. „Ich musste in Eile packen.“
„Sie sind ein Gentleman aus dem Süden, ein Calhoun.“ Rowan zog einen reifen Apfel aus seiner Hosentasche, biss kräftig davon ab und sprach mit vollem Mund weiter. „Sollten Sie da nicht eigentlich Diener für so etwas haben?“
Die leicht missbilligende Tonlage des Professors behagte Jamie nicht. „Oh, natürlich“, meinte er. „Doch heute habe ich meine Schwarzen so hart geprügelt, dass sie nicht mehr arbeiten konnten.“
Rowan hörte zu kauen auf und lächelte verlegen. „Ich vermute, Sie sind es langsam leid, immer als der faule, privilegierte Sohn eines Plantagenbesitzers angesehen zu werden, der nichts Besseres zu tun hat, als auf der Veranda zu sitzen, Eisgetränke zu schlürfen und reich zu werden.“
„Lieber Freund, wäre ich ein fauler, privilegierter Sohn eines Plantagenbesitzers, weshalb hätte ich dann in die Hauptstadt kommen und mit einem verschrobenen, voreingenommenen Nordstaatler zusammenziehen sollen, der seine Jacke verkehrt herum trägt und meint, ein südlicher Akzent stehe für eine niedere Lebensform?“
Rowan machte ein ratloses Gesicht, blickte dann an seiner Jacke hinunter, legte den Apfelgriebs zur Seite, nahm die drahtgerahmte Brille vom Kopf und betrachtete die Nähte. Er wendete die Jacke, griff in eine der Taschen und zog eine goldene Uhr an einer Kette heraus. „Nach der habe ich schon überall gesucht“, erläuterte er und lachte kurz. „Lieber Himmel, ist es wirklich schon nach drei Uhr? Und ich habe noch nichts gegessen.“
Jamie verzichtete darauf, ihn an den Apfel zu erinnern.
Der Professor legte die Uhr aus der Hand. „Ich bitte ehrlich um Entschuldigung, Calhoun.“
„Entschuldigung angenommen.“
„Gut. Ich bin eigentlich ein toleranter Mensch“, erklärte Rowan. „Und ich habe selbst so ein paar Eigenheiten.“
Jamie dachte an das unaufgeräumte Haus, an die nicht zu identifizierenden Erfindungen, welche jeden Fußboden und jeden Tisch bedeckten, an die Speisekammer mit der Eiskiste voller Experimente und die Toilette mit den zahlreichen Glasröhrchen und -bechern. Er hatte sogar eine fette weiße Maus entdeckt, die in einem Schauglas auf der Kamineinfassung lebte. „Das habe ich bemerkt“, bestätigte
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