Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
auf den Kongress gleichermaßen zu, wie ich langsam begreife.“ Er hielt ihr die Tür auf. „Kommen Sie. Ich bringe Sie und Ihre Schwester heim.“ Er lächelte. „Galant von mir, nicht wahr? Zehn Schritte Umweg, und das nur Ihretwegen.“
Er sprach noch kurz mit Rowan und trat dann in den kühlen Herbsttag hinaus. Blätter wehten über die gepflegten, ziegelsteingepflasterten Gehsteige. Ein paar Mietdroschken standen am Wegesrand; die Räder waren wegen der abschüssigen Straße schräg gestellt, und die Pferde schlugen träge mit dem Schweif. Studenten saßen in Gruppen um die Eisentische eines Cafés ein Stück die Straße hinunter, und ordentlich gekleidete Dienstboten erledigten ihre Besorgungen.
Jamie gewann den Eindruck, diese Gegend verströme einschüchternde Überheblichkeit. Er kannte die Höfe Europas, die nahöstlichen Paläste und Orte, welche sich die Menschen von Washington gar nicht vorzustellen vermochten. Für ihn indes war das so seriöse Georgetown mit seinen ziegelgepflasterten Straßen, den pastellgestrichenen Hauseingängen, den Messing-Türklopfern, Gaslichtlaternen und gusseisernen Gartenpforten exotischer als die Paläste von Luxor. Und sicherlich waren seine Bewohner noch viel rätselhafter.
Gerade wollte er sich von den Damen verabschieden, als ein Fahrradbote eintraf. Der junge Mann keuchte noch von der Anstrengung, da er die M Street hügelauf geradelt war. Er trug die dunkelblaue Livree einer Marineordonnanz, und als er vom Rad stieg, nahm er Haltung an. „Fähnrich Clarence Sutherland, zu Diensten. Ich habe eine Botschaft für Miss Cabot von Leutnant Butler.“
Abigail nahm den Umschlag entgegen. Ihr Gesicht leuchtete auf, und aus dem unscheinbaren Sperling wurde mit einem Mal ein strahlender Singvogel. Die unglaublichen Augen der jungen Frau sagten alles: Sie war absolut verrückt nach dem Leutnant und wusste nicht, wie sie das verhehlen sollte. Dies war bedauerlich, denn sie würde bei lebendigem Leibe gefressen werden. Jamie hatte ja versucht, sie zu warnen, doch sie hatte ihm nicht zugehört.
„Leben Sie wohl, Mr. Calhoun“, sagte sie mit unziemlicher Hast. „Wir werden uns sicherlich wieder sehen. Komm, Helena, lass uns hineingehen.“
Jamie fragte sich, ob er die Lage nicht etwa falsch deutete. Könnte Boyd Butler tatsächlich um Abigail werben? Das würde ihn verblüffen und, wie er widerwillig zugeben musste, beeindrucken. Möglicherweise unterschätzte er ja den jungen Marineoffizier, als er ihn als einen geistig schwerfälligen, oberflächlichen und einfallslosen Menschen abgetan hatte, dem mehr an der schönen Helena liegen müsste. Diese war zwar überaus ansehnlich, doch es bedurfte mehr als erstklassiger Brüste, um das Interesse eines Mannes über das Schlafzimmer hinaus zu erhalten.
Hinter welcher der beiden Schwestern war Butler her? Diese Frage beschäftigte Jamie, während er sie beide, den unscheinbaren Sperling und den strahlenden Schwan, durch die schwere, imposante Tür in ihr Vaterhaus treten sah.
Doch weshalb interessierte ihn die Antwort überhaupt?
5. KAPITEL
A bigail fühlte kaum den Boden unter ihren Füßen, als sie f reudig erregt die Treppe zum Salon hinaufstieg. Sie presste den Umschlag an ihre Brust und hätte ihn beinahe auch noch an die Lippen gedrückt.
Ein Brief von Leutnant Butler!
Helena eilte ihr hinterher. „Also Abigail, musst du denn so rennen? Das letzte Mal habe ich dich so laufen sehen, als dir von diesen Muscheln im Haus des spanischen Botschafters übel wurde.“
An jene peinliche Situation musste ihre Schwester sie in diesem Augenblick wirklich nicht erinnern! Abigail ging voraus in das heimelige Morgenzimmer und setzte sich auf das dunkelgrüne Sofa. Helena nahm ihr gegenüber in einem Ohrensessel Platz und faltete die Hände im Schoß.
„Also, was steht nun drin?“
Abigail holte tief Luft und versuchte, sich erst einmal wieder ein wenig zu fassen. Die Vorstellung, einen Brief von Boyd Butler erhalten zu haben, erfüllte sie mit Entzücken, obwohl sie genau wusste, dass dieser eigentlich Helena begehrte. Weshalb war sie dann nicht unglücklich? Weil sein Werben ihren Vater und ihre Schwester glücklich machen würde, und zwei zu drei war ja kein so schlechtes Ergebnis.
Helenas Neugier wegen Boyd Butler kam Abigail seltsam vor, denn gewöhnlich begegnete sie allen Freiern mit der gleichen Verachtung. Möglicherweise war es ja diesmal anders. Vielleicht wollte sie tatsächlich umworben werden.
Zu sehen, wie er
Weitere Kostenlose Bücher