Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
arrangiert waren, dass man sie für einen schlafenden Menschen halten konnte. „Ihre Schwester ist ungemein abenteuerlustig. Ich versichere Ihnen, Rowan wird sich um sie kümmern.“
Abigail war weder überrascht noch beunruhigt darüber, dass ihre Schwester verschwunden war. Sie wusste schon seit langem, dass Helena sich gelegentlich auf und davon machte und dass weder Schelte noch Sorge sie davon abhalten konnten. Wenn Abigail ihre Mutter am Himmel suchte, so versuchte Helena, die Leere mit Abenteuern an verbotenen irdischen Orten zu füllen.
„Sagen Sie meinem Vater nichts davon“, bat Abigail.
„Wofür halten Sie mich denn? Beantworten Sie das lieber nicht“, fügte er rasch hinzu. „Ziehen Sie sich nur den Nachtmantel an. Wo sind Ihre Pantoffeln?“
Die Angst packte sie. „Lassen Sie die Lampe hier, und warten Sie draußen auf mich.“
Jamie lachte leise. „Abby, wir haben bereits sämtliche Anstandsregeln gebrochen. Heben Sie sich Ihre Schicklichkeit für Boyd Butler auf. Der wird sie wahrscheinlich mehr als ich zu schätzen wissen.“
Im Augenblick vermochte sie nur an Jamie zu denken, an seine Nähe und an seine prüfenden Augen. „Gehen Sie hinaus, oder ich rühre mich nicht aus diesem Bett!“ Sie konnte nur hoffen, dass er ihre Panik nicht bemerkte. Mit angehaltenem Atem starrte sie ihn so lange an, bis er tatsächlich hinausging. Erst als sie die Tür ins Schloss fallen hörte, kletterte sie aus dem Bett. Sie zog sich ihre Schuhe - nicht die Pantoffeln - an, denn damit konnte sie besser gehen. Der Nachtmantel gehörte eigentlich Helena, doch das machte nichts, denn er war so lang, dass er die hässlichen Schuhe verbarg.
Abigail nahm die Lampe hoch und schlüpfte auf den Korridor
hinaus, wo Jamie sie erwartete. „Also gut, was wollen Sie mir zeigen? “
Er nahm sie bei der Hand und führte sie den Korridor entlang. Hin und wieder knarrte eine Bodendiele, doch sonst herrschte eine fast unheimliche Stille in den antik wirkenden Hallen von Albion.
Abigail war dies sehr fremd, denn sie war an die Geräusche und die Geschäftigkeit einer Stadt gewöhnt, die niemals richtig zur Ruhe kam.
Am Ende des Korridors gelangten sie zu einem schmalen Durchgang und einer Stiege. Im nächsten Stockwerk gingen sie durch einen Raum voller verhängter Möbel. Hier war vermutlich einmal ein Kinderzimmer gewesen.
„War dies Ihr Zimmer?“ erkundigte sie sich.
„Vor langer Zeit.“ Jamie verlangsamte seinen Schritt und blickte auf die Wände, an denen gerahmte Bilder von Pferden und Reitern hingen.
Abigail deutete auf drei niedrige, verhängte Bettgestelle. „Lebten noch andere Kinder in diesem Haus?“
„Keines teilte dieses Zimmer mit mir. Uber die Jahre hinweg beherbergte dieses Kinderzimmer viele Calhouns. Einige Generationen waren fruchtbarer als andere.“
Abigail malte sich aus, wie Jamie hier unter dem kritischen Blick seiner gut aussehenden Eltern aufgewachsen sein musste. Es war ein beunruhigendes Bild. Er hatte ihr zwar nur wenig über seine Vergangenheit erzählt, doch sie spürte eine gewisse Distanz in seiner Familie, einen Mangel an Zusammenhalt. „Sie werden sich hier so ganz allein sehr einsam gefühlt haben.“
Jamie ließ ihre Hand los und schob eine hölzerne Wandtafel zur Seite. Dahinter verbarg sich eine weitere, noch engere Stiege als die vorige. Abigail fragte sich, weshalb er nicht von seiner Kindheit sprach; Albion musste doch ein verzauberter Ort für einen kleinen Jungen gewesen sein.
„Eine Geheimtür“, flüsterte sie. „Wie spannend.“
„Laut Familienchronik legten die ersten Calhoun-Generationen Fluchtwege durch Dachboden und Keller zum Schutz vor Piratenüberfällen an.“
Spinnweben und vergessene Möbel füllten den Raum aus, den sie nun erreichten. Die gedrehten Stuhl- und Tischbeine erinnerten an trockene Knochen in einer Abdeckerei.
Plötzlich hörte Abigail ein Rascheln und Scharren. Erschreckt fuhr sie zusammen und drückte sich an Jamie. Dass sie nur ein dünnes Nachtkleid und einen baumwollenen Nachtmantel trug, bedachte sie zu spät. Von hinten schlang sie die Arme um ihn, als würde er sie vor dem Ertrinken retten. So hatte sie noch niemals einen Mann berührt, und ihr erster Eindruck war der von ... Festigkeit; Jamie fühlte sich an wie ein Baumstamm, nur wärmer.
Verlegen ließ sie ihn wieder los und wich zurück. „Entschuldigung. Ich hörte so ein Geräusch ..."
„Das sollten Sie öfter einmal hören.“ Er lächelte, und sie fragte sich,
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