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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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fertig war, dann drehte er sich zur Seite und versuchte aufzustehen. Selbst bei einem Viertel G wollte ihn das Bein nicht tragen. Er hüpfte auf einem Fuß zu einem Schrank und beschaffte sich eine Krücke.
    Als er am Bett des Botanikers vorbeikam, hielt Prax ihn am Arm fest. Der Griff des Mannes war überraschend kräftig.
    »Ist es tot?«
    »Ja.« Holden tätschelte ihm die Hand. »Wir haben es erwischt. Danke für Ihre Hilfe.«
    Prax antwortete nicht, sondern rollte sich nur bebend auf die Seite. Holden brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass Prax weinte. Er ging wortlos hinaus. Was hätte er dem Mann auch sagen können?
    Holden fuhr mit dem Leiteraufzug nach oben, weil er in der Operationszentrale die detaillierten Schadensmeldungen lesen wollte, die Naomi und die Rosinante zusammenstellten. Er hielt jedoch inne, als er auf dem Mannschaftsdeck zwei Leute reden hörte. Was sie sagten, konnte er nicht verstehen, aber er erkannte Naomis Stimme und den Tonfall, den sie benutzte, wenn sie ein Gespräch unter vier Augen führte.
    Die Stimmen kamen aus der Messe. Er kam sich ein wenig wie ein Spanner vor, während er sich der Luke näherte, bis er die Worte verstehen konnte.
    »Es ist noch mehr als das«, sagte Naomi. Holden hätte fast die Messe betreten, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Er hatte das ungute Gefühl, dass sie über ihn sprach. Über sie beide. Über die Gründe, warum sie wegging.
    »Warum ist es noch mehr?«, fragte die zweite Person. Amos.
    »Auf Ganymed hättest du beinahe einen Mann mit einer Dose Hühnchen totgeschlagen«, antwortete Naomi.
    »Der Kerl hat ein kleines Mädchen als Geisel genommen, um Essen zu erpressen. Der Teufel soll ihn holen. Wenn er hier wäre, würde ich ihn sofort wieder verprügeln.«
    »Vertraust du mir, Amos?« Naomis Stimme klang traurig. Nein, verängstigt.
    »Mehr als jedem anderen«, antwortete Amos.
    »Ich habe schreckliche Angst. Jim rast los und will auf Tycho etwas wirklich Dummes tun. Der Mann, den wir mitgenommen haben, ist nur noch ein Zucken von einem Nervenzusammenbruch entfernt.«
    »Ja, er ist …«
    »Und du«, fuhr sie fort. »Ich brauche dich. Ich weiß, dass du mich unterstützt hast, ganz egal, was los war. Aber jetzt tust du das vielleicht nicht mehr so richtig, weil der Amos, den ich kenne, keine dürren Bengel halb zu Tode prügelt, ganz egal, wie viel Hühnchen sie verlangen. Ich habe das Gefühl, dass wir nach und nach alle die Kontrolle verlieren. Das will ich verstehen, denn ich habe wirklich große Angst.«
    Am liebsten wäre Holden sofort hineingegangen, hätte ihre Hand genommen und sie festgehalten. Ihre Stimme verlangte es, doch er hielt sich zurück. Es gab eine lange Pause. Holden hörte ein Kratzen, dann prallte Metall auf Glas. Jemand rührte Zucker in den Kaffee. Die Geräusche waren so eindeutig, dass er es fast vor sich sehen konnte.
    »Also reden wir über Baltimore.« Amos’ Stimme klang so entspannt, als machte er eine Bemerkung über das Wetter. »Keine schöne Stadt. Hast du mal was vom Quetschen gehört? Das Quetschergeschäft? Nuttenquetschen?«
    »Nein. Geht es da um Drogen?«
    »Nein«, antwortete Amos lachend. »Nein. Wenn du eine Nutte quetschst, dann setzt du sie auf die Straße, bis sie schwanger wird. Anschließend verhökerst du sie an Freier, die auf schwangere Mädchen stehen, und nachdem sie das Kind geboren hat, schickst du sie wieder auf die Straße. Aufgrund der Fortpflanzungsbeschränkungen ist es wohl ein ziemlicher Trip, schwangere Mädchen zu vögeln.«
    »Und das Quetschen?«
    »Ja – hast du noch nie gehört, dass möglichst viele Kinder aus ihnen herausgequetscht werden?«
    »Doch.« Naomi hatte Mühe, ihren Widerwillen zu verbergen.
    »Die Kinder sind illegal, aber sie verschwinden nicht einfach so. Jedenfalls nicht sofort.« Amos machte eine Pause. »Für sie gibt es auch eine Verwendung.«
    Holden wurde die Kehle eng. Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht. Als Naomi gleich darauf wieder etwas sagte, spiegelte ihre Stimme sein eigenes Entsetzen.
    »Jesus.«
    »Jesus hat damit nichts zu tun«, widersprach Amos. »Im Quetschergeschäft gibt es keinen Jesus. Aber manche Kinder landen in den Banden der Zuhälter. Manche landen auch auf der Straße …«
    »Finden manche auch einen Weg, die Welt zu verlassen, um nie mehr zurückzukehren?«, fragte Naomi leise.
    »Vielleicht.« Es klang immer noch so, als spräche Amos über ein völlig alltägliches Thema. »Manche schaffen es vielleicht.

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