Calibans Krieg
Aber die meisten … irgendwann verschwinden die meisten, weil sie verbraucht sind.«
Sie schwiegen eine Weile. Holden hörte, wie sie Kaffee tranken.
»Amos«, sagte Naomi schließlich mit belegter Stimme. »Ich habe nie …«
»Ich würde das kleine Mädchen gern finden, bevor es verbraucht ist und einfach verschwindet. Das würde ich gern für sie tun«, fuhr Amos fort. Auch ihm verschlug es jetzt fast die Sprache. Er räusperte sich und hustete laut. »Für ihren Dad.«
Holden dachte, das Gespräch sei beendet, und wollte sich leise zurückziehen. Dann hörte er, wie Amos, jetzt wieder mit völlig ruhiger Stimme, noch etwas hinzufügte: »Und dann werde ich den umbringen, der sie verschleppt hat.«
30 Bobbie
Vor ihrer Arbeit für Avasarala und die UN hatte Bobbie noch nie etwas von Mao-Kwikowski Mercantile gehört, oder wenn, dann hatte sie nicht weiter darauf geachtet. Ohne es zu wissen, hatte sie ihr ganzes Leben lang Produkte getragen, gegessen oder als Sitzmöbel benutzt, die Mao-Kwik mit seinen Frachtern durch das Sonnensystem beförderte. Nachdem sie die Akten durchgearbeitet hatte, die Avasarala ihr gegeben hatte, staunte sie, wie groß und weitverzweigt der Konzern war. Hunderte von Schiffen, Dutzende Stationen, Millionen Angestellte. Jules-Pierre Mao verfügte auf allen bewohnbaren Planeten und Monden des Systems über bedeutende Vermögenswerte.
Seine achtzehn Jahre alte Tochter hatte eine eigene Rennjacht besessen. Eine Tochter, die er eigentlich nicht leiden konnte.
Es gelang Bobbie nicht, sich vorzustellen, wie reich man sein musste, um sich ein Raumschiff leisten zu können, mit dem man Wettrennen flog. Die Tatsache, dass das Mädchen weggelaufen war und sich den Rebellen der AAP angeschlossen hatte, sagte vermutlich eine ganze Menge über die Beziehung zwischen Reichtum und Zufriedenheit, aber andererseits fiel es Bobbie schwer, derart philosophisch mit dieser Frage umzugehen.
Sie war als Kind der marsianischen Mittelschicht aufgewachsen. Ihr Vater hatte zwanzig Jahre als Nichtkombattant in der marsianischen Marine gedient und nach dem Ausscheiden bei privaten Sicherheitsberatern gearbeitet. Bobbies Familie hatte immer ein schönes Zuhause besessen. Sie und ihre beiden älteren Brüder hatten die Universität besuchen können, ohne auf Studentendarlehen zurückgreifen zu müssen. Auch später hatte sie sich nie als arm betrachtet.
Das änderte sich jetzt.
Man konnte es nicht einmal mehr Reichtum nennen, wenn jemand eine eigene Rennjacht besaß. Das war nicht von dieser Welt. Es war der protzige Konsum, der zu den alten Adligen der Erde passte. Eine Pharaonenpyramide mit einem Raumantrieb. Bobbie hatte das für den lächerlichsten Exzess gehalten, den sie bislang überhaupt gesehen hatte.
Dann hatte sie nach dem kurzen Shuttleflug Jules-Pierre Maos private L5-Station betreten.
Jules parkte seine Schiffe nicht in Umlaufbahnen vor öffentlichen Stationen. Er benutzte nicht einmal eine Mao-Kwik-Station. Diese voll funktionstüchtige Raumstation, die die Erde umkreiste, war ausschließlich seinen privaten Schiffen vorbehalten, und das Ding war herausgeputzt wie das Gefieder eines Pfaus. Eine derartige Extravaganz hätte sie sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können.
Außerdem dachte sie, dass Mao ein äußerst gefährlicher Mann war. Alles, was er tat, unterstrich seine Freiheit von jeglichen Beschränkungen. Er war ein Mann, für den es keine Grenzen gab. Einen ranghohen Politiker der UN zu töten war vielleicht nicht gut fürs Geschäft. Vielleicht sogar ein sehr teurer Spaß. Aber für einen Mann mit so viel Reichtum und Macht wäre es nicht besonders riskant.
Das erkannte Avasarala offensichtlich nicht.
»Ich hasse die durch Rotation erzeugte Schwerkraft«, erklärte die ältere Frau gerade, während sie eine Tasse dampfenden Tee trank. Sie befanden sich seit drei Stunden auf der Station und warteten darauf, dass die Fracht vom Shuttle auf Maos Jacht umgeladen wurde. Man hatte ihnen eine Suite mit vier großen Schlafzimmern zugewiesen, die jeweils eine eigene Dusche besaßen und sich einen großen Salon teilten. Ein riesiger Wandbildschirm tat so, als sei er ein Fenster. In der Schwärze hing die Erde als helle Sichel mit ihren Wolkenfeldern, die ganze Kontinente bedeckten. Die mit drei Mitarbeitern besetzte Küche hatte bisher nichts weiter getan, als der Stellvertretenden Untergeneralsekretärin eine Tasse Tee zu servieren. Bobbie spielte mit dem Gedanken, eine große
Weitere Kostenlose Bücher