Calibans Krieg
sehen, wie jemand zurückwinkte, war überwältigend.
Holden sprach mit Alex. Die Worte konnte Prax nicht verstehen, nur der Tonfall war eindeutig.
»Es sieht gut aus, Käpt’n«, antwortete Alex. »Noch zehn Minuten.«
Die Druckliege verlagerte sich zur Seite, und nun erschien vor ihnen die weite Krümmung der Station, an deren Drehung Alex die Flugbahn ihres Schiffs anpasste. Wenn man in einem so großen Ring ein Drittel G erzeugen wollte, entstanden ungeheure Trägheitskräfte. Doch unter Alex’ Hand schwebten Schiff und Station sachte aufeinander zu. Bevor Prax geheiratet hatte, war er einmal Zeuge einer Tanzvorführung in der Neotaoistischen Tradition geworden. In der ersten Stunde war es ungeheuer langweilig gewesen, aber nach und nach hatten ihn die kleinen Bewegungen von Armen und Beinen und die Schritte der Tänzer, die sich zueinander bewegt, sich verneigt und wieder voneinander gelöst hatten, in ihren Bann gezogen. Die Rosinante glitt mit der gleichen Eleganz, die Prax bei der Vorstellung bewundert hatte, an den zugewiesenen Liegeplatz vor einer großen Luftschleuse. Der Unterschied bestand allerdings darin, dass sich Tonnen von extrem geschmeidigem Stahl und ein Fusionsreaktor anstelle von menschlichen Körpern bewegten.
Noch eine letzte Korrektur und eine letzte Bewegung der kardanisch aufgehängten Liegen, und die Rosinante hatte die Andockposition erreicht. Die letzte Korrektur war nicht abrupter ausgefallen als die vielen kleinen Anpassungen, die Alex während des Anflugs vorgenommen hatte. Mit einem lauten Knall rasteten die Fanghaken der Station ein und hielten das Schiff fest.
»Tycho-Kontrolle«, sagte Alex. »Die Rosinante hat angedockt, der Zugang zur Luftschleuse ist dicht. Nach unseren Anzeigen sind die Klammern angelegt. Können Sie das bestätigen?«
Es gab eine kleine Pause, dann war ein Gemurmel zu hören.
»Danke, Tycho«, sagte Alex. »Es ist gut, wieder hier zu sein.«
Die Schwerkraft im Schiff war jetzt ein wenig höher. Es war nicht mehr der Schub des Antriebs, der die Illusion von Schwerkraft erzeugte, sondern die Drehung des Rings, auf dem die Klammern sie festhielten. Prax hatte das Gefühl, ein wenig zur Seite zu kippen, sobald er aufstand. Er musste den Drang unterdrücken, zu stark zur anderen Seite gegenzusteuern und wiederum das Gleichgewicht zu verlieren.
Holden war schon in der Messe, als Prax dort eintraf, und versorgte sich an der Kaffeemaschine mit heißem schwarzem Kaffee. Der Strahl floss leicht gekrümmt heraus. Die Corioliskraft. Auf der Oberschule hatte Prax von diesem Effekt gehört. Amos und Naomi kamen zusammen herein. Da sie jetzt alle versammelt waren, hielt Prax es für angebracht, sich bei ihnen für das, was sie für ihn getan hatten, zu bedanken. Für ihn und für Mei, die wahrscheinlich schon tot war. Holdens schmerzliche Miene hielt ihn davon ab.
Naomi stand vor ihm, sie hatte sich einen Seesack über die Schulter geworfen.
»Dann gehst du jetzt«, sagte Holden.
»Ja.« Es klang unbeschwert, hatte aber offensichtlich eine tiefere Bedeutung. Prax blinzelte nervös.
»Na gut«, sagte Holden.
Ein paar Sekunden lang bewegte sich niemand, dann machte Naomi einen großen Schritt und küsste Holden leicht auf die Wange. Der Kapitän streckte die Arme aus, um sie zu umarmen, doch sie hatte sich schon wieder zurückgezogen und marschierte mit den Schritten einer Frau, die wusste, was sie wollte, durch den schmalen Gang hinaus. Holden hob seine Kaffeetasse. Amos und Alex wechselten einen Blick.
»Äh, Käpt’n?«, sagte Alex. Verglichen mit der Stimme des Mannes, der gerade irgendwo im Weltall ein mit Atomwaffen bestücktes Kriegsschiff auf einem rotierenden Metallring verankert hatte, klang es zögernd und sehr besorgt. »Brauchen wir jetzt einen neuen XO?«
»Wir sehen uns erst um, wenn ich es sage«, antwortete Holden. Leise fügte er hinzu: »Bei Gott, ich hoffe das wirklich nicht.«
»Ja«, stimmte Alex zu. »Ich auch.«
Die vier Männer standen in gedrücktem Schweigen beisammen. Amos war der Erste, der wieder etwas sagte.
»Weißt du, Käpt’n«, begann er, »in der Wohnung, die ich hier bekomme, ist genug Platz für zwei. Wenn du das freie Bett haben willst, musst du es nur sagen.«
»Nein«, antwortete Holden. Er sah niemanden an, als er antwortete, aber er streckte die Hand aus und presste sie an die Wand. »Ich bleibe auf der Rosinante . Ich bin hier.«
»Ehrlich?« Wieder klang es, als hätte Amos damit mehr sagen wollen, als
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