Calibans Krieg
Ellbogen und zog sie zurück.
»Nein, Sie haben einen Fehler gemacht«, sagte er. »Wem haben Sie Mei gegeben?«
»Das System sagte, es sei ihre Mutter! Sie hatte Papiere. Es war alles in Ordnung.«
Auf dem Flur war stotterndes Gewehrfeuer zu hören. Jemand schrie, und die Kinder kreischten vor Angst. Die Lehrerin riss sich los. Irgendetwas prallte gegen die Tür.
»Sie war etwa dreißig. Dunkles Haar, dunkle Augen. Bei ihr war ein Arzt. Sie war im System, und Mei hat sich überhaupt nicht gesträubt.«
»Hat Mei ihre Medizin genommen?«, fragte er. »Hat sie die Medizin genommen?«
»Nein. Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.«
Es war keine bewusste Handlung, doch Prax schüttelte die Frau. Einmal nur, und heftig. Inzwischen hatte Mei wohl auch die mittägliche Dosis ausgelassen. Vielleicht schaffte sie es noch bis zum folgenden Morgen, ehe ihr Immunsystem zusammenbrach.
»Zeigen Sie es mir«, forderte Prax. »Zeigen Sie mir das Bild der Frau, die sie mitgenommen hat.«
»Das kann ich nicht! Das System ist abgestürzt«, rief die Lehrerin. »Draußen auf dem Flur bringen sie Leute um!«
Der Kreis der Kinder löste sich auf, alle schrien jetzt wild durcheinander. Die Lehrerin schlug sich weinend die Hände vor das Gesicht. Ihre Haut schimmerte beinahe bläulich. In ihm selbst brach eine nahezu animalische Panik aus. Die trügerische äußerliche Ruhe konnte daran nichts ändern.
»Gibt es einen Evakuierungstunnel?«, fragte er.
»Man hat uns gesagt, wir sollen hierbleiben«, antwortete die Lehrerin.
»Ich sage Ihnen, Sie sollten evakuieren«, erwiderte Prax, doch in Wirklichkeit dachte er: Ich muss Mei finden.
4 Bobbie
Unter zornigem Summen und Schmerzen kehrte ihr Bewusstsein zurück. Blinzelnd bemühte Bobbie sich, einen klaren Kopf zu bekommen und zu erkennen, wo sie war. Es ärgerte sie, dass sie nur verschwommen sehen konnte. Das Summen entpuppte sich schließlich als Alarmsignal ihres Anzugs. Auf dem Helmdisplay tanzten bunte Lichter. Daten, mit denen sie im Moment nichts anfangen konnte. Der Anzug war mitten im Reboot, deshalb sprachen nacheinander verschiedene Warnsignale an. Als sie versuchsweise die Arme hob, stellte sie fest, dass sie zwar geschwächt, aber nicht gelähmt oder blockiert war. Das Schockgel im Anzug hatte sich wieder verflüssigt.
Etwas zog im schwachen Licht vor dem Visier ihres Helms hin und her. Ein Kopf, der mehrmals auftauchte und wieder verschwand. Dann knackte es, als jemand ein Kabel in den externen Anschluss ihres Anzugs schob. Vermutlich ein Soldat, der ihre Verletzungen abfragte.
Eine männliche und junge Stimme sprach sie über die Innenlautsprecher des Anzugs an: »Alles klar, Gunny. Wir haben Sie. Das wird schon wieder. Alles wird gut. Warten Sie einfach noch eine Weile.«
Er hatte kaum Weile gesagt, da wurde sie schon wieder ohnmächtig.
Als sie das nächste Mal erwachte, schwebte sie federnd auf einer Trage einen langen weißen Tunnel hinunter. Den Anzug trug sie nicht mehr. Bobbie fürchtete, die Gefechtssanitäter hatten keine Zeit damit verschwendet, ihn auf dem normalen Weg auszuziehen, sondern auf den Notschalter gedrückt, der auf einen Schlag sämtliche Nähte und Gelenke sprengte. Das war ein schneller Weg, einen Verletzten aus einem vierhundert Kilo schweren gepanzerten Exoskelett zu befreien, aber der Anzug wurde dabei zerstört. Bedauernd dachte Bobbie an den treuen alten Anzug, den sie nun verloren hatte.
Dann erinnerte sie sich an ihre Abteilung, die vor ihren Augen zerfetzt worden war, und fand die Trauer um den verlorenen Anzug auf einmal trivial und herzlos.
Ein heftiger Ruck der Trage jagte einen stechenden Schmerz durch ihre Wirbelsäule und schleuderte sie abermals in die Bewusstlosigkeit.
»Sergeant Draper«, sagte jemand.
Bobbie versuchte, die Augen zu öffnen. Es gelang ihr nicht. Jedes Augenlid wog tausend Kilogramm, und schon der Versuch erschöpfte sie völlig. Also beschränkte sie sich darauf, der Stimme zu antworten, und schämte sich, weil sie nicht mehr als das Gemurmel eines Betrunkenen herausbekam.
»Sie ist bei Bewusstsein, aber sehr geschwächt«, erklärte die Stimme. Es war eine tiefe und weiche Männerstimme, voller Wärme und Mitgefühl. Bobbie hoffte, die Stimme werde weiterreden, bis sie wieder bewusstlos wurde.
Eine zweite Stimme, weiblich und scharf, schaltete sich ein. »Lassen Sie sich ausruhen. Es wäre gefährlich, sie jetzt ganz aufzuwecken.«
Die freundliche Stimme widersprach: »Es ist mir egal, ob es
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