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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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Arme vor der Brust. Zwei Männer entfernten sich von der Menge, gingen ein Stück den schmalen und schmutzigen Flur hinunter und redeten miteinander. In diesen alten, hochgelegenen Tunneln roch man die Recycler – Plastik, Wärme, künstliche Duftstoffe. Jetzt auch die Angst.
    »Meine Damen und Herren«, rief die Soldatin. »Um Ihrer eigenen Sicherheit willen müssen Sie ruhig bleiben und abwarten, bis der Militäreinsatz beendet ist.«
    »Wie genau sieht denn die militärische Lage aus?«, fragte eine Frau, die neben Prax stand. Es klang herausfordernd und überhaupt nicht nach einer Frage.
    »Sie entwickelt sich sehr schnell«, antwortete die Soldatin. Die Stimme klang jetzt unsicher. Anscheinend hatte sie so große Angst wie alle anderen, nur dass sie eine Waffe besaß. Also kam er hier nicht weiter. Er musste einen anderen Weg finden. Mit seiner letzten Glycine kenon in der Hand entfernte Prax sich von der Röhrenbahnstation.
    Er war acht Jahre alt gewesen, als sein Vater von den dicht besiedelten Zentren des Mondes Europa nach Ganymed versetzt worden war, um ein Forschungslabor aufzubauen. Die Konstruktion hatte zehn Jahre gedauert, die Prax eine unruhige Jugend beschert hatten. Als seine Eltern wegen eines neuen Vertrages ihre Sachen gepackt und zu einem Asteroiden auf einer exzentrischen Umlaufbahn in der Nähe Neptuns umgezogen waren, hatte Prax sich entschlossen, auf Ganymed zu bleiben. Er hatte sich für ein Praktikum bei den Botanikern entschieden, weil er glaubte, er könne das Wissen gebrauchen, um illegales steuerfreies Marihuana anzubauen. Dann hatte er festgestellt, dass jeder dritte Praktikant mit dem gleichen Vorsatz angetreten war. In den vier Jahren, die er damit verbracht hatte, eine vergessene Abstellkammer oder einen verlassenen Tunnel zu finden, der nicht schon von illegalen hydroponischen Experimenten beansprucht wurde, hatte er das Gewirr der Korridore gut kennengelernt.
    Jetzt wanderte er durch die alten, schmalen Gänge, die schon von der ersten Generation angelegt worden waren. An den Wänden oder in den Bars und Restaurants saßen Männer und Frauen mit leeren, zornigen oder ängstlichen Mienen. Die Displays spielten Musik, Theatervorstellungen oder abstrakte Kunst in Endlosschleifen ab, statt wie gewohnt die Nachrichtenkanäle zu zeigen. Kein einziges Handterminal meldete piepsend den Eingang persönlicher Mitteilungen.
    Vor den zentralen Luftschächten fand er, was er gesucht hatte. Die Wartungstechniker hatten hier und dort alte Elektroroller abgestellt, die aber niemand mehr benutzte. Da Prax ein leitender Wissenschaftler war, öffnete ihm sein Handterminal die verrostete Absperrkette. Er fand einen Roller mit einem Beiwagen und halb vollen Batterien. Mit so einem Ding war er seit sieben Jahren nicht mehr gefahren. Er stellte die Glycine kenon in den Beiwagen, startete den Selbsttest und fuhr in den Flur hinaus.
    Auf den ersten drei Rampen standen Soldaten wie jene, die er an der Röhrenbahnstation gesehen hatte. Prax hielt nicht einmal an. An der vierten Rampe, wo ein Versorgungstunnel von den Lagerhäusern an der Oberfläche hinunter zu den Reaktoren führte, war niemand. Er hielt inne und saß nachdenklich auf dem Roller. In der Luft hing ein stechender Geruch, den er nicht ganz einordnen konnte. Nach und nach wurden ihm weitere Einzelheiten bewusst: Brandspuren an der Wandverkleidung, auf dem Boden war etwas Dunkles verschmiert. In der Ferne knallte es. Nach drei oder vier Atemzügen begriff er, dass dort geschossen wurde.
    Eine sich schnell entwickelnde Situation bedeutete anscheinend, dass in den Tunneln gekämpft wurde. Auf einmal sah er Meis Klassenzimmer vor sich – so lebhaft, als wäre es eine Erinnerung und keine Einbildung. Die Panik, die er in der Kuppel empfunden hatte, war auf einmal wieder da, nur hundertmal schlimmer.
    »Ihr ist nichts passiert«, erklärte er der Pflanze im Beiwagen. »In einer Vorschule wird nicht gekämpft, weil den Kindern nichts passieren darf.«
    Die grünlich schwarzen Blätter welkten bereits. Nein, in der Nähe von Kindern kämpften sie bestimmt nicht. Auch die Lebensmittelvorräte waren sicher. Genau wie die empfindlichen landwirtschaftlichen Kuppeln. Seine Hände zitterten wieder, aber er war noch fähig, das Fahrzeug zu steuern.
    Die erste Explosion ereignete sich, als er die Rampe von der siebten zur achten Ebene hinunterfuhr und an einer riesigen, noch nicht ausgebauten Höhle vorbeikam, die die Ausmaße einer Kathedrale hatte. Dort

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