Calibans Krieg
völlig übereinstimmte. Die Angst hatte ihn getrieben, und er hatte sich verändert. Er war ein Mann geworden, der seine Angst mit Gewalt abreagierte. Jemand, den Naomi nicht liebte, den seine Crew nicht respektierte und den er nicht einmal selbst leiden konnte.
Die Angst war nicht verschwunden. Sie war immer noch da, und jedes Mal, wenn er an Ganymed dachte, an das, was dort umging und wuchs, bekam er eine Gänsehaut. Doch zum ersten Mal seit langer Zeit empfand er die Angst bewusst und lief nicht vor ihr weg. Er erlaubte sich jetzt, die Angst zu fühlen. Das war der Unterschied.
Holden hörte die Blauwe Blome mehrere Sekunden, ehe er sie sah. Es begann als fast unmerkliches rhythmisches Stampfen, das rasch lauter wurde, bis ein elektronisches Wimmern hinzukam und eine Frau zu hören war, die auf Hindi und Russisch sang. Als er vor dem Eingang des Clubs stand, sangen abwechselnd zwei Männer etwas, das nach einem in Musik umgesetzten Streit klang. Das elektronische Jaulen war zornigen Gitarren gewichen, der Bassrhythmus hatte sich jedoch nicht verändert.
Das Innere des Clubs war ein Anschlag auf alle Sinne. In der Mitte gab es eine riesige Tanzfläche, auf der Dutzende zuckender Körper von dem Licht der Lightshow erfasst wurden, die sich im Takt zur Musik ständig veränderte und wandelte. Draußen auf dem Korridor war die Musik laut gewesen. Drinnen war sie ohrenbetäubend. An einer Wand erstreckte sich eine lange, chromblitzende Theke, hinter der ein halbes Dutzend Barkeeper hektisch die Bestellungen ausführten.
Auf einem Schild an der Rückwand stand das Wort »G OLGO «, darunter verwies ein Pfeil auf einen langen Flur. Holden folgte dem Hinweis. Mit jedem Schritt wurde die Musik leiser, und als er das Hinterzimmer mit den Spieltischen erreicht hatte, waren nur noch gedämpfte Bassfiguren zu hören.
Naomi stand mit ihrer Freundin, der Ingenieurin Sam, und einigen anderen Gürtlern an einem Tisch. Sie hatte sich das Haar mit einem roten elastischen Band zurückgebunden, das gerade breit genug war, um dekorativ zu wirken. Den Overall hatte sie gegen eng sitzende graue Hosen getauscht, die er noch nicht kannte, und dazu trug sie eine gelbe Bluse, die ihre karamellfarbene Haut dunkler erscheinen ließ. Holden hielt inne. Als sie jemanden anlächelte, schnürte es ihm die Brust zu.
Sam warf eine kleine Metallkugel auf den Tisch. Die Gruppe auf der anderen Seite reagierte mit heftigen Bewegungen. Von seinem Standort aus konnte Holden das Spiel nicht genau verfolgen, doch die hängenden Schultern und die leisen Flüche der zweiten Gruppe wiesen wohl darauf hin, dass Sam für ihr Team etwas Gutes getan hatte.
Tatsächlich drehte Sam sich um und hob die Hand. Die Angehörigen ihrer eigenen Gruppe, zu der auch Naomi gehörte, klatschten nacheinander mit ihr ab. Sam bemerkte ihn als Erste und sagte etwas, das er nicht verstand. Naomi drehte sich um und bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick, der ihn auf der Stelle innehalten ließ. Sie lächelte nicht, runzelte aber auch nicht die Stirn. Er hob beschwichtigend die Hände, um ihr zu verstehen zu geben, dass er sich nicht streiten wollte. Einen Moment lang standen sie da und starrten einander in dem Lärm, der in dem Raum herrschte, schweigend an.
Jesus, dachte er. Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen?
Schließlich nickte Naomi und deutete auf einen Tisch in einer Ecke des Raumes. Er setzte sich und bestellte einen Drink. Keinen der blauen Leberkiller, für welche die Bar so berühmt war, sondern einen billigen, im Gürtel produzierten Scotch. Er mochte ihn nicht, aber mit der Zeit hatte er sich an den leicht schimmeligen Nachgeschmack gewöhnt, den das Gebräu hinterließ. Naomi entschuldigte sich für ein paar Minuten bei ihrem Team und kam herüber. Sie ging nicht lässig, aber es war auch nicht der Gang eines Menschen, der sich auf eine traumatische Begegnung gefasst macht.
»Darf ich dir was bestellen?«, fragte Holden, als sie saß.
»Klar. Ich nehme einen Grapefruit-Martini.« Während Holden auf dem Tisch die Bestellung eintippte, beobachtete sie ihn mit einem geheimnisvollen kleinen Lächeln, das seinen Bauch in eine Flüssigkeit verwandelte.
»Na gut«, sagte er, als er sein Terminal autorisiert hatte, die Rechnung der Bar zu begleichen. »Ein schrecklicher Martini ist unterwegs.«
»Schrecklich?«, lachte Naomi.
»Ein nahezu tödlicher Anfall von Skorbut ist der einzige Grund, aus dem ich mich überwinden könnte, ein Getränk mit
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