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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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sie tot.
    In seinem von der Schwerkraft gezeichneten Dämmerzustand lächelte er in sich hinein. Natürlich konnten die Lippen dem Impuls nicht folgen. Er hatte sich geirrt. Die ganze Zeit hatte er sich geirrt. All die Stunden, in denen er allein herumgesessen und sich gesagt hatte, Mei sei tot. Er hatte sich eingeredet, er müsse sich stählen und sich auf das Schlimmste vorbereiten. Das traf überhaupt nicht zu. Er hatte es gesagt und zu glauben versucht, weil es ihn beruhigte.
    Wenn sie tot war, dann wurde sie nicht gefoltert. Wenn sie tot war, hatte sie keine Angst. Wenn sie tot war, konnte er die Schmerzen allein tragen, sie gehörten nur noch ihm, und seiner kleinen Tochter geschah nichts. Ohne Freude oder Schmerzen sah er ein, dass dies ein krankhafter Geisteszustand war. Dennoch, irgendjemand hatte ihm sein Leben und seine Tochter weggenommen. Er war beinahe verhungert, während der Kaskadeneffekt das zerstörte, was von Ganymed noch übrig war. Man hatte auf ihn geschossen, er hatte mit einer halb außerirdischen Mordmaschine zu tun gehabt und war jetzt im ganzen Sonnensystem als jemand bekannt, der seine Frau geschlagen und sein Kind missbraucht hatte. Er hatte keinen Grund, geistig gesund zu bleiben. Es half ihm nicht.
    Außerdem tat ihm das Knie wirklich sehr weh.
    Irgendwo in weiter Ferne, an einem Ort, wo es Licht und Luft gab, summte etwas dreimal, und der Berg rollte von seinem Brustbein herunter. Als er zu sich kam, hatte er das Gefühl, aus einem Schwimmbecken aufzutauchen.
    »Also, Leute«, verkündete Alex über die Schiffslautsprecher, »wir machen eine Verpflegungspause. Nehmt euch zwei Minuten Zeit, damit die Leber wieder an die richtige Stelle zurückkriechen kann, und dann treffen wir uns in der Messe. Wir haben nur fünfzig Minuten, also genießt es, so gut ihr könnt.«
    Prax atmete tief ein und presste die Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen hinaus, dann richtete er sich auf. Er fühlte sich am ganzen Körper zerschlagen. Das Handterminal behauptete, der Schub betrage nur noch ein Drittel G, aber es fühlte sich nach mehr an. Er schwenkte die Beine über die Bettkante, dabei gab sein Knie ein feuchtes, knirschendes Knacken von sich. Er tippte auf sein Terminal.
    »Äh, ich fürchte, ich kann nicht laufen«, sagte er. »Mein Knie.«
    »Warten Sie, Doc«, antwortete Amos. »Ich sehe es mir mal an. Ich komme einem Sanitäter wohl relativ nahe, falls Sie es nicht der Krankenstation überlassen wollen.«
    »Aber versuch nicht, ihn mit dem Schweißgerät zu flicken«, schaltete sich Holden ein. »Das klappt nicht.«
    Dann wurde es still. Während er wartete, sah Prax die eingegangenen Nachrichten durch. Die Liste war zu lang für den Bildschirm, aber das war schon so, seit sie die Botschaft hinausgeschickt hatten. Nur die Betreffzeilen hatten sich geändert.
    TODESSTRAFE FÜR KINDERFICKER
    HÖREN SIE NICHT AUF DIE HASSERFÜLLTEN LEUTE
    ICH GLAUBE IHNEN
    MEIN VATER HAT DAS GLEICHE MIT MIR GETAN
    FINDE ZU JESUS, EHE ES ZU SPÄT IST
    Er öffnete die Nachrichten nicht, sondern suchte in den Newsfeeds nach seinem und Meis Namen. Es gab mehr als siebentausend aktive Feeds zu diesen Stichwörtern. Nicolas Name tauchte nur in fünfzig Feeds auf.
    Früher hatte er Nicola einmal geliebt oder gedacht, er liebte sie. Er hatte sie sexuell begehrt wie noch nie eine andere Frau zuvor und sich gesagt, sie hätten es gut. Die Nächte, die sie zusammen verbracht hatten. Mei war aus Nicolas Körper gekommen. Es war schwer zu glauben, dass etwas so Kostbares, das ihm so wichtig war, zugleich ein Teil der Frau war, die er allem Anschein nach nie wirklich gekannt hatte. Auch wenn er der Vater ihres Kindes war, er kannte die Frau nicht, die in dem Video zu sehen war.
    Er aktivierte die Aufzeichnungsfunktion des Handterminals, richtete die Kamera auf sich selbst und leckte sich über die Lippen.
    »Nicola …«
    Zwanzig Sekunden später schaltete er ab und löschte die Aufzeichnung. Er hatte nichts zu sagen. Wer bist du, und was glaubst du, wer ich bin? Etwas in dieser Art hätte er sagen können, aber die Antworten waren ihm einerlei.
    Er kehrte zu den Nachrichten zurück und filterte die Namen der Menschen heraus, die ihn bei den Nachforschungen unterstützt hatten. Seit der letzten Abfrage war nichts Neues passiert.
    »Hallo, Doc.« Amos schlurfte in den kleinen Raum.
    »Tut mir leid.« Prax steckte das Terminal in die Halterung neben der Druckliege. »Während der letzten Beschleunigungsphase habe ich mir

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