Calibans Krieg
sollte es auch sein. Dieses Gefühl tiefer Entspannung und Zufriedenheit. Er konnte sich eine Zukunft vorstellen, in der er ihr nicht hatte beweisen können, dass er sich geändert hatte, und in der sie nicht zu ihm zurückgekehrt war. Er konnte Jahre und Jahrzehnte voller Ausschweifungen sehen, in denen er vergeblich versucht hatte, dieses Gefühl wieder in sich zu wecken, was ihm natürlich nicht gelingen konnte, weil es überhaupt nicht um Sex ging.
Es drehte ihm den Magen um, wenn er nur darüber nachdachte.
Naomi sprach im Schlaf. Ihre Lippen hauchten dicht an seinem Hals etwas Unverständliches, und das Kitzeln weckte ihn weit genug, um zu erkennen, dass er fast eingenickt war. Er umarmte ihren Kopf auf seiner Brust und küsste sie auf die Haare, drehte sich zu seiner Seite um und überließ sich der Müdigkeit.
Der Wandmonitor über dem Bett summte.
»Wer ist da?«, fragte er. So müde war er schon lange nicht mehr gewesen. Er hatte erst vor einer Sekunde die Augen geschlossen und bekam sie einfach nicht mehr auf.
»Ich bin’s, Käpt’n«, meldete sich Alex. Holden hätte ihn am liebsten angebrüllt, hatte aber nicht genug Kraft dazu.
»Ja?«
»Das musst du sehen.« Mehr sagte Alex nicht, doch der Tonfall weckte Holden auf der Stelle. Er richtete sich auf und schob Naomis Arm zur Seite. Sie murmelte etwas im Schlaf, erwachte aber nicht.
»Gut.« Er schaltete den Monitor ein.
Eine weißhaarige ältere Frau mit sehr seltsamen Gesichtszügen sah ihn an. Sein benommener Verstand brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass sie nicht deformiert war, sondern nur unter hoher G-Belastung flog. Der Druck verzerrte auch ihre Stimme, als sie sagte: »Ich bin Chrisjen Avasarala, Stellvertretende Untergeneralsekretärin der UN-Regierung. Ein UN-Admiral hat sechs Zerstörer der Munroe-Klasse aus dem Jupiter-System entsandt, um Ihr Schiff zu zerstören. Verfolgen Sie diesen Transpondercode und treffen Sie mich, oder Sie und alle anderen auf Ihrem Schiff werden sterben. Das ist mein verdammter Ernst.«
40 Prax
Der Schub presste ihn auf die Druckliege. Es waren nur vier G, aber selbst ein einziges G erforderte beinahe schon den kompletten Medikamentencocktail. Er hatte an einem Ort gelebt, an dem er schwach geworden war. Das hatte er zwar gewusst, aber meistens nur an Xylem und Phloem gedacht. Die unter niedriger Schwerkraft üblichen Mittel zur Stärkung des Knochenwachstums hatte er natürlich genommen, und er hatte so oft trainiert, wie es die Richtlinien verlangten. Normalerweise. Aber im Hinterkopf hatte er es immer für idiotisch gehalten. Er war Botaniker und würde in den gewohnten Tunneln mit der gemütlichen niedrigen Schwerkraft, weniger als ein Fünftel im Vergleich zur Erde, leben und sterben. Es hatte für ihn keinen Grund gegeben, jemals die Erde aufzusuchen. Ebenso wenig hatte er vorhergesehen, dass er jemals die Torturen einer starken Beschleunigung über sich ergehen lassen musste. Jetzt lag er im Gel wie am Grund eines Ozeans. Es verschwamm ihm vor Augen, und er musste um jeden Atemzug ringen. Als sein Knie überstreckt wurde, wollte er schreien, hatte aber nicht genug Luft.
Den anderen ging es bestimmt besser. Sie waren an so etwas gewöhnt und wussten, dass sie es überleben würden. Sein Kleinhirn war sich in dieser Hinsicht nicht so sicher. Nadeln bohrten sich in seinen Oberschenkel und verpassten ihm einen weiteren Cocktail aus Hormonen und Betäubungsmitteln. Von den Einstichstellen ging eine eigenartige Kälte aus, zugleich erfüllte ihn die Angst. In dieser Phase war es ein Balanceakt. Einerseits mussten die Blutgefäße elastisch bleiben, um nicht zu platzen, andererseits mussten sie fest genug bleiben, um nicht zu kollabieren. Allmählich entglitt ihm das normale Wachbewusstsein, und an dessen Stelle trat etwas Berechnendes und Distanziertes. Er wusste und kannte immer noch alles, was sein altes Ich umfasst hatte, doch er war von sich selbst abgerückt.
In diesem veränderten Bewusstseinszustand machte er eine Bestandsaufnahme. Wäre es in Ordnung, jetzt zu sterben? Wollte er leben, und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Er betrachtete den Verlust seiner Tochter wie ein physisches Objekt. Der Verlust war das zarte Rosa einer zerbrochenen Muschel, wo einst rotes, verschorftes Blut gewesen war. Das Rot einer Nabelschnur, die sich abtrennen musste. Er erinnerte sich an Mei und ihr Aussehen. An ihr entzücktes Lachen. So war sie nicht mehr. Falls sie noch lebte. Aber wahrscheinlich war
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