Calibans Krieg
einzige Verhandlungsmasse auf, die ich habe.«
»Diese Möglichkeit steht Ihnen doch gar nicht offen«, erwiderte eine Frau. »Legen Sie die Waffe weg, und lassen Sie uns darüber reden. Ich komme seit sieben Jahren mit Ihnen zurecht, und ich kann Sie noch weitere sieben Jahre im Geschäft halten, aber Sie dürfen jetzt nicht …«
»… nicht durchdrehen? Glauben Sie denn, es gibt nach dem heutigen Tag noch ein Morgen?«
Amos deutete mit der Flinte nach vorn und schlich langsam weiter. Prax folgte ihm und bemühte sich, keinen Lärm zu machen. Es war Monate her, seit er Stricklands Stimme das letzte Mal gehört hatte, aber er konnte der Mann sein, der sich dort mit der Frau stritt. Es war durchaus möglich.
»Lassen Sie mich eines klarstellen«, sagte der Mann. »Wir haben nichts, absolut nichts. Auf dem Verhandlungsweg können wir nur dann etwas erreichen, wenn wir auch einen Trumpf in der Hand haben. Damit meine ich sie. Was glauben Sie denn, warum sie am Leben sind?«
»Carlos«, antwortete die Frau, als Prax fast die Ecke der Nische erreicht hatte. »Darüber können wir uns später noch unterhalten. Jetzt stehen feindliche Kräfte vor dem Stützpunkt, und wenn Sie noch hier sind, wenn die Angreifer durch die Luke kommen …«
»Ja«, unterbrach Amos sie. »Was passiert dann?«
Die Nische sah aus wie alle anderen. Strickland – er war es tatsächlich – stand neben einer grauen metallenen Transportkiste, die ihm bis knapp über die Hüfte reichte. In den Käfigen lagen ein halbes Dutzend reglose Kinder. Sie schliefen oder standen unter Drogen. Strickland hatte eine kleine Waffe in der Hand und zielte auf die Frau, die Prax im Video gesehen hatte. Sie trug eine eckig geschnittene Uniform. Sicherheitsfirmen griffen gern zu solchen Entwürfen, damit ihre Mitarbeiter besonders taff und einschüchternd wirkten. Bei dieser Frau funktionierte es.
»Wir sind durch die andere Luke hereingekommen.« Prax deutete über die Schulter zurück.
»Dad?«
Nur eine Silbe, leise ausgesprochen. Sie drang aus der fahrbaren Transportkiste und war lauter als all die Explosionen, die Gaussgeschosse und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden. Es verschlug Prax den Atem, er konnte sich nicht rühren. Er wollte sie alle auffordern, die Waffen wegzulegen und vorsichtig zu sein. Das war sein Kind. Sein Kind.
Stricklands Pistole bellte, und eine Art Sprengladung zerstörte den Hals und das Gesicht der Frau. Blut und Knorpel spritzten in alle Richtungen. Sie setzte noch zu einem Schrei an, doch da größere Teile des Kehlkopfes fehlten, kam nichts als ein kräftiger, feuchter Atemstoß heraus. Amos hob die Schrotflinte, doch Strickland oder Merrian oder wie sein Name auch lautete, legte die Pistole auf die Kiste und schien vor Erleichterung fast in sich zusammenzusacken. Die Frau sank zu Boden, Blut und Hautstücke regneten rot herab.
»Gott sei Dank, dass Sie da sind«, stöhnte der Doktor. »Gott sei Dank. Ich habe es so lange hinausgezögert, wie ich nur konnte. Dr. Meng, ich kann mir vorstellen, wie schwer das für Sie war. Es tut mir unendlich leid.«
Prax machte einen Schritt auf die Frau zu. Sie holte noch einmal schaudernd Luft, das Nervensystem schickte die letzten Impulse durch den Körper. Strickland lächelte ihn an. Es war das gleiche beruhigende Lächeln, das Prax in den letzten Jahren bei so vielen Gesprächen mit dem Arzt gesehen hatte. Der Botaniker suchte die Kontrollen der Kiste und kniete nieder, um sie zu öffnen. Mit einem Klicken lösten sich die Magnetverschlüsse in der Seitenwand. Dann verschwand die Rolltür im Rahmen.
Einen schrecklichen, atemlosen Moment lang dachte er, es sei das falsche Mädchen. Sie hatte das richtige glänzende schwarze Haar und die hellbraune Haut, die er kannte. Sie hätte Meis ältere Schwester sein können. Dann bewegte sich die Kleine. Sie drehte nur ein wenig den Kopf, aber mehr brauchte er nicht, um in dem Körper des älteren Mädchens sein Baby zu entdecken. In all den Monaten auf Ganymed, während seiner wochenlangen Reise nach Tycho und zurück, war sie ohne ihn weitergewachsen.
»Sie ist so groß geworden« sagte er. »Sie ist so sehr gewachsen.«
Mei runzelte die Stirn. Direkt über den Augenbrauen bildeten sich kleine Falten. Sie sah aus wie Nicola. Endlich öffnete sie die Augen. Sie waren leer und blicklos. Prax nestelte an dem Helm herum und nahm ihn ab. Die Luft der Station roch nach Schwefel und Kupfer.
Mei richtete den Blick auf ihn und
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