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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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einfachen Schalter. Er legte ihn um und sicherte die Waffe.
    »Ich habe meine Heimat verloren«, fuhr Prax langsam fort. »Ich habe meinen Job verloren. Die meisten Menschen, die ich kannte, sind tot oder im ganzen System verstreut. Eine Regierung behauptet, ich misshandelte Frauen und missbrauchte Kinder. Im letzten Monat habe ich von Fremden mehr als achtzig unmissverständliche Morddrohungen bekommen. Und wissen Sie was? Es ist mir egal.«
    Strickland leckte sich über die Lippen, sein Blick wanderte zwischen Prax und Amos hin und her.
    »Ich muss Sie nicht töten«, sagte Prax. »Ich habe meine Tochter gefunden. Rache ist mir nicht wichtig.«
    Strickland atmete langsam ein und aus. Sein Körper entspannte sich, und um die Mundwinkel spielte etwas, das nach Erleichterung und Freude aussah. Mei zuckte zusammen, als Amos mit dem Schrotgewehr schoss, schmiegte sich aber gleich wieder an Prax’ Schulter, ohne zu weinen oder sich umzusehen. Stricklands Leichnam sank langsam zu Boden, die Arme fielen an den Seiten herab. Von der Stelle aus, wo der Kopf gesessen hatte, spritzte helles arterielles Blut an die Wände, jeder Stoß war etwas schwächer als der vorhergehende.
    Amos zuckte mit den Achseln.
    »Auch gut«, sagte Prax.
    »Haben Sie eine Ahnung, wie wir …«
    Hinter ihnen ging das Schott auf, und ein Mann stürmte herein.
    »Was ist passiert? Ich habe einen …«
    Amos hob die Automatikflinte. Der Mann stieß einen ängstlichen Laut aus, bremste und zog sich sofort wieder zurück. Amos räusperte sich.
    »Haben Sie eine Ahnung, wie wir die Kinder herausbekommen?«
    Mei wieder in den Transportkarren zu stecken war das Schlimmste, was Prax je getan hatte. Er wollte sie an sich drücken, ihr Gesicht an seinem spüren. Es war eine urtümliche Reaktion. Die tiefsten Gehirnschichten sehnten sich nach dem beruhigenden Körperkontakt. Doch sein Anzug vermochte Mei nicht vor der Strahlung oder Ios extrem dünner Schwefelatmosphäre zu schützen, während es die Transportkiste konnte. Er schob sie sanft zu zwei anderen Kindern, während Amos die übrigen vier in einem zweiten Kasten verstaute. Das kleinste Kind trug sogar noch die Windeln eines Neugeborenen. Prax fragte sich, ob auch dieses Baby von Ganymed gekommen war. Die Karren glitten leicht über den Boden der Station und klapperten nur, wenn sie über die eingelassenen Schienen rollten.
    »Erinnern Sie sich, wie wir zurück zur Oberfläche gelangen?«, fragte Amos.
    »Ich glaube schon«, antwortete Prax.
    »Äh, Doc? Sie sollten aber vorher den Helm wieder aufsetzen.«
    »Oh, richtig. Danke.«
    An der T-Kreuzung hatten ein halbes Dutzend Männer in den Uniformen der Wachleute eine Barrikade eingerichtet und bereiteten sich darauf vor, das Labor gegen einen Angriff zu verteidigen. Da Amos seine Granaten von hinten warf, nützte ihnen die Deckung weniger als erwartet, aber trotzdem dauerte es ein paar Minuten, die Toten und die Überreste der Barrikade wegzuräumen, ehe die Karren weiterrollen konnten.
    Früher einmal, das wusste Prax genau, früher hätten ihn die Gewaltausbrüche gestört. Nicht das Blut oder die Toten. Er hatte mehr als genug Zeit damit verbracht, Tote zu sezieren und sogar autonome Gliedmaßen zu zerlegen, und konnte den Anblick ausblenden, damit sein Bauch Ruhe gab. Hier geschah es allerdings im Zorn. Die Männer und Frauen, die gerade in die Luft geflogen waren, hatten nicht ihre Körper oder Gewebe gespendet. Das hätte ihm früher etwas ausgemacht. Das Universum hatte ihm diese Empfindsamkeit genommen, und er konnte nicht einmal mehr den Zeitpunkt benennen, zu dem es geschehen war. Ein Teil in ihm war betäubt und würde es vielleicht für immer bleiben. Er empfand einen Verlust, aber nur auf intellektueller Ebene. Das einzige Gefühl, das er noch hatte, war die starke, überwältigende Erleichterung, dass Mei noch da war, dass er sie lebendig vorgefunden hatte, während ihm ein animalischer Beschützerinstinkt sagte, er dürfe sie nie wieder aus den Augen lassen. Wenn irgend möglich sogar, bis sie zur Universität ging.
    Draußen fuhren die Transportkarren nicht mehr ganz so mühelos, denn für die unebene Oberfläche waren die Räder nicht gebaut. Prax folgte Amos’ Beispiel und zog die Kiste, statt sie zu schieben. Wenn er sich die Kraftdiagramme vorstellte, war das sehr sinnvoll, aber ohne Amos’ Beispiel wäre er nie darauf gekommen.
    Bobbie tappte langsam zur Rosinante zurück. Ihre Rüstung war verkohlt und voller Flecken, und sie

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