Calibans Krieg
Madam.«
Seine Schritte entfernten sich.
»Soren!«
»Ja, Madam?«
»Besorgen Sie mir eine Liste aller Personen, die bei den Anhörungen zum Eros-Zwischenfall ausgesagt haben, und unterziehen Sie die Aussagen einer neuropsychologischen Analyse, falls das nicht schon geschehen ist.«
»Möchten Sie die Transkriptionen haben?«
»Ja, auch das.«
»Ich lasse sie Ihnen so bald wie möglich zukommen.«
Er zog die Tür hinter sich zu, und Avasarala sank auf den Stuhl. Ihr taten die Füße weh, und die leichten Kopfschmerzen, die sie seit dem Morgen plagten, machten einen energischen Vorstoß. Buddha lächelte ungerührt. Sie betrachtete ihn kichernd, als gäbe es einen Scherz, den nur sie beide verstanden. Am liebsten wäre sie nach Hause gefahren, hätte sich auf die Veranda gesetzt und Arjun bei seinen Klavierübungen zugehört.
Stattdessen …
Sie benutzte lieber das Handterminal als das Bürosystem, um Arjun anzurufen. Es war der abergläubische Wunsch, diese Bereiche getrennt zu halten, selbst wenn es dabei nur um kleine Äußerlichkeiten wie diese ging. Er meldete sich fast sofort. Er hatte ein markantes Gesicht, der kurz geschnittene Bart war inzwischen fast völlig weiß. Seine Augen strahlten immer etwas Fröhliches aus, selbst wenn er weinte. Sobald sie ihn auch nur ansah, entspannte sich irgendetwas in ihrer Brust.
»Heute komme ich wahrscheinlich spät nach Hause«, begann sie und bereute sofort den sachlichen Tonfall, den sie angeschlagen hatte. Arjun nickte.
»Ich bin unglaublich schockiert«, erwiderte er. Sogar der Sarkasmus des Mannes war mild. »Ist die Maske besonders schwer?«
Die Maske, so nannte er es. Als sei die Person, die sich der Welt stellte, nur eine Verkleidung, während diejenige, die mit ihm sprach oder mit den Enkeltöchtern spielte und malte, die echte war. Sie hielt das für falsch, fand aber diese Illusion sehr anheimelnd und wollte sie nicht zerstören.
»Heute ist sie wirklich sehr schwer. Was machst du gerade, Liebster?«
»Ich lese den Entwurf von Kukurris Diplomarbeit. Sie erfordert noch gewisse Nachbesserungen.«
»Bist du im Büro?«
»Ja.«
»Geh doch in den Garten«, schlug sie vor.
»Weil du dort gern wärst? Wir können auch zusammen in den Garten gehen, wenn du nach Hause kommst.«
Sie seufzte.
»Es kann wirklich sehr spät werden.«
»Dann weck mich, und wir gehen zusammen in den Garten.«
Sie berührte den Bildschirm, und er grinste, als spürte er die zärtliche Geste. Sie trennte die Verbindung. Aus alter Gewohnheit verabschiedeten sie sich nicht voneinander. Es war eine von tausend kleinen Eigenheiten, wie sie sich in einer Jahrzehnte dauernden Ehe entwickelten.
Avasarala wandte sich dem Schreibtischsystem zu und öffnete die taktische Analyse der Schlacht auf Ganymed, die Geheimdienstberichte über die wichtigsten militärischen Befehlshaber der Marsianer und die Planung für das Gipfeltreffen. Die Generäle hatten seit ihrer Konferenz schon einen Teil ihrer Aufgaben erledigt. Sie nahm eine Pistazie aus der Handtasche, knackte die Schale, nahm beim Knabbern die Informationen auf und ordnete sie ein. Im Fenster hinter ihr kämpften die Sterne gegen den Lichtsmog von Den Haag an. Venus war und blieb der hellste Himmelskörper.
6 Holden
Holden träumte von langen gewundenen Korridoren voller halbmenschlicher Monster, als ihn ein lautes Summen in der stockfinsteren Kabine weckte. Er kämpfte einen Moment mit den ungewohnten Gurten auf der Pritsche, bis er sich abgeschnallt hatte und in der Mikrogravitation fast schwerelos schwebte. Wieder summte der Com in der Wand. Holden stieß sich vom Bett in die richtige Richtung ab und drückte auf den Knopf, um das Licht in der Kabine einzuschalten. Sie war winzig. An einer Wand eine siebzig Jahre alte Druckliege, darunter ein persönliches Schließfach. In der Ecke die Toilette mit Waschbecken, gegenüber der Koje eine Tafel, auf der das Wort Somnambulist eingraviert war.
Der Com summte zum dritten Mal. Endlich drückte Holden auf den Rufknopf und antwortete. »Wo sind wir, Naomi?«
»Das letzte Bremsmanöver vor der hohen Umlaufbahn. Du wirst es nicht glauben, aber wir haben eine Warteschlange vor uns.«
»Heißt das, wir müssen uns tatsächlich hinten anstellen?«
»Genau«, bestätigte Naomi. »Ich glaube, sie kontrollieren alle Schiffe, die auf Ganymed landen.«
Mist.
»Mist. Welche Seite ist es?«
»Spielt das denn eine Rolle?«
»Nun ja«, antwortete Holden. »Die Erde sucht mich, weil ich
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