Calibans Krieg
ein paar Tausend Raketen gestohlen und der AAP übergeben habe. Der Mars sucht mich, weil ich eins ihrer Schiffe gestohlen habe. Ich nehme an, die Strafen unterscheiden sich.«
Naomi lachte. »Sie würden dich so oder so bis in alle Ewigkeit einsperren.«
»Du kannst mich ja einen Pedanten nennen.«
»Die Gruppe, vor der wir warten sollen, sieht nach UN-Schiffen aus, aber direkt daneben steht eine marsianische Fregatte und beobachtet den Ablauf.«
Holden sprach ein stummes Dankgebet, weil er sich auf Tycho von Fred Johnson hatte überreden lassen, mit der kürzlich reparierten Somnambulist nach Ganymed zu fliegen, statt die Rosinante zu nehmen. Der Frachter war im Moment das am wenigsten auffällige Schiff der AAP. Es erregte weitaus weniger Misstrauen als ihr gestohlenes marsianisches Kriegsschiff. Die Rosinante parkte eine Million Kilometer von Jupiter entfernt an einer Stelle, die vermutlich niemand näher beachten würde. Alex hatte das Schiff bis auf die Luftaufbereitung und die passiven Sensoren heruntergefahren, hockte vermutlich mit einem großen Stapel Decken in seiner Kabine und wartete auf ihren Ruf.
»Na gut, ich komme rauf. Schick einen Richtstrahl an Alex und erkläre ihm, wie die Situation aussieht. Wenn wir verhaftet werden, soll er die Rosinante nach Tycho zurückfliegen.«
Holden öffnete den Spind unter der Koje und zog einen schlecht sitzenden grünen Overall hervor, auf dessen Rücken der Name des Schiffs und auf dessen Brusttasche der Name »Philips« eingestickt waren. Nach den Schiffsakten, die einige findige Techniker auf Tycho produziert hatten, war er der Schiffstechniker Walter Philips, der als Ingenieur und Handwerker den Lebensmittelfrachter Somnambulist wartete. Außerdem stand er in der Hierarchie von drei Besatzungsmitgliedern an letzter Stelle. Da er im Sonnensystem recht bekannt war, schien es sinnvoll, Holden einen Posten zu geben, der es ihm hoffentlich ersparte, mit irgendwelchen Autoritätspersonen zu sprechen.
Er wusch sich am winzigen Waschbecken – es gab nicht einmal fließendes Wasser, sondern nur einen Stapel feuchter Tücher und eingeseifter Waschlappen – und kratzte sich unglücklich den zotteligen Bart, den er sich als Verkleidung hatte stehen lassen. Da er bisher noch nie einen Bart getragen hatte, stellte er nun enttäuscht fest, dass seine Gesichtshaare an unterschiedlichen Stellen unterschiedlich lang und gekräuselt sprossen. Amos hatte sich aus Solidarität ebenfalls einen Bart wachsen lassen und besaß inzwischen eine wahre Löwenmähne, die er vielleicht sogar behalten wollte, weil sie ihm so gut stand.
Holden schob das benutzte Handtuch in den Recyclingschacht und stieß sich von der Luke seines Abteils ab, um über den Aufgang ins Operationsdeck zu klettern.
Die Operationszentrale machte nicht viel her, denn die Somnambulist war fast hundert Jahre alt und hatte mehr oder weniger das Ende ihrer Lebenserwartung erreicht. Hätten sie nicht für diese Mission ein entbehrliches Schiff gebraucht, dann hätten Freds Leute den Kahn vermutlich längst verschrottet. Bei der letzten Begegnung mit Piraten war er ohnehin schwer beschädigt worden. Doch das Schiff hatte in den letzten zwanzig Jahren ständig Lebensmittel zwischen Ganymed und Ceres befördert und wurde in der Registratur des Jupitermondes als Stammgast geführt. Es war plausibel, dass es jetzt mit Hilfsgütern eintraf. Fred war der Ansicht gewesen, die Zollabfertigung oder blockierende Einheiten würden sie einfach durchwinken, da das Schiff so oft Ganymed ansteuerte.
Das war anscheinend etwas zu optimistisch gewesen.
Naomi saß angeschnallt am Operationspult, als Holden eintraf. Sie trug einen grünen Overall, der seinem ähnelte, bei ihr stand allerdings Estancia auf der Brusttasche. Sie lächelte ihn an und winkte ihn zu sich, damit er ihren Bildschirm betrachten konnte.
»Da ist die Gruppe der Schiffe, die jeden überprüfen, der landen will.«
»Verdammt«, sagte Holden. Er ließ das Teleskop zoomen, bis er die Rümpfe und Aufschriften erkennen konnte. »Eindeutig UN-Schiffe.« Von einem UN-Schiff bewegte sich etwas Kleines quer über das Bild zu dem schweren Frachter, der im Moment an der Spitze der Schlange wartete. »Das sieht nach einer Fähre aus.«
»Nur gut, dass du dich seit einem Monat nicht gekämmt hast.« Naomi zupfte an einer seiner Haarsträhnen. »Mit diesem Gebüsch auf dem Kopf und dem schrecklichen Bart würden dich deine eigenen Mütter nicht mehr
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