Calibans Krieg
angezettelt.« Jetzt traten Basia die Tränen in die großen dunklen Augen, und die Stimme klang traurig. Doch er nahm es ergeben hin. »In diesem Krieg sterben auch Kinder. Du musst … ach, verdammt. Man muss irgendwie weitermachen.«
»Du kannst nicht sicher sein«, beharrte Prax. »Du weißt nicht mit Sicherheit, dass sie tot sind, und du lässt sie im Stich.«
Basia starrte den Boden an und errötete langsam. Er schüttelte den Kopf und zog die Mundwinkel nach unten.
»Du kannst nicht weggehen«, drängte Prax. »Du musst bleiben und ihn suchen.«
»Lass das«, erwiderte Basia. »Schrei mich nicht in meiner eigenen Wohnung an.«
»Es sind unsere Kinder. Du kannst sie doch nicht einfach im Stich lassen. Was für ein Vater bist du bloß? Du meine Güte …«
Basia beugte sich vor und stützte sich auf den Tisch. Hinter ihm spähte ein halbwüchsiges Mädchen mit weit aufgerissenen Augen herein. Prax war sich seiner Sache plötzlich sehr sicher.
»Du wirst bleiben«, sagte er.
Das Schweigen dauerte drei Herzschläge. Vier. Fünf.
»Es ist alles längst abgesprochen«, erklärte Basia.
Prax schlug ihn. Er hatte es weder geplant noch beabsichtigt. Sein Arm bewegte sich im Schultergelenk, die geballte Faust schoss aus eigenem Antrieb vor. Die Knöchel trafen Basias Wange, der Aufprall riss den Kopf zur Seite und schleuderte den Mann zurück. Dann stürmte der große Mann auf ihn zu. Der erste Schlag traf Prax unter dem Schlüsselbein und ließ ihn zurücktaumeln. Der nächste und der übernächste trafen die Rippen. Schließlich rutschte der Stuhl unter ihm weg, und er fiel in der niedrigen Schwerkraft langsam herunter und schaffte es nicht, einen sicheren Stand zu finden. Gleichzeitig schlug Prax wild um sich und trat. Sein Fuß prallte gegen etwas Hartes, er konnte aber nicht sagen, ob es der Tisch oder Basia war.
Als er zu Boden ging, setzte Basia ihm den Fuß auf den Solarplexus. Vor Prax’ Augen wurde es sehr hell, das Licht flimmerte, alles tat ihm weh. Irgendwo, weit entfernt, rief eine Frau. Die Worte konnte er nicht verstehen. Dann, sehr langsam, dämmerte ihm, was er hörte.
Es geht ihm nicht gut. Er hat auch ein Kind verloren. Es geht ihm nicht gut.
Prax rollte sich herum und drückte sich auf die Knie hoch. Am Kinn hatte er Blut, das höchstwahrscheinlich sein eigenes war. Niemand sonst blutete. Basia stand am Tisch, immer noch die Hände zu Fäusten geballt, mit geweiteten Nasenflügeln schwer atmend. Die Tochter stand vor ihm, hatte sich zwischen ihrem wütenden Vater und Prax aufgebaut. Er sah nur ihr Hinterteil, den Pferdeschwanz und die Hände, die sie erhoben hatte, um den Vater mit der universellen beschwichtigenden Geste aufzuhalten. Sie rettete ihm das Leben.
»Du solltest besser verschwinden, Bruder.«
»In Ordnung«, sagte Prax.
Er stand langsam auf, stolperte zur Tür und ging hinaus. Er konnte noch nicht richtig atmen.
Das Geheimnis der Botanik in geschlossenen Systemen war dies: Du musst nicht das beobachten, was entzweigeht, sondern die Reaktionskaskade im Auge behalten. Der erste Verlust einer ganzen Ernte von Glycine kenon beruhte auf einem Pilz, der den Sojabohnen überhaupt nicht schadete. Der Pilz siedelte sich im hydroponischen System an, schluckte fröhlich die Nährstoffe, die nicht für ihn gedacht waren, und änderte den pH-Wert des Systems. Das schwächte die Bakterien, die Prax benutzte, um Stickstoff zu binden, und dies wiederum machte sie anfällig für Bakteriophagen, die ihnen normalerweise nichts hätten anhaben können. Das Stickstoffgleichgewicht des Systems kippte, und als die Bakterien sich endlich erholt hatten und so zahlreich waren wie zuvor, waren die Sojabohnen gelb und schlaff und nicht mehr zu retten.
Dies benutzte er als Metapher, wenn er an Mei und ihr Immunsystem dachte. Das Problem war eigentlich winzig. Ein mutiertes Allel produzierte ein Protein, das sich nach links statt nach rechts faltete. Eine Abweichung von wenigen Basenpaaren. Dieses Protein katalysierte jedoch einen wichtigen Schritt bei der Signalübermittlung an die T-Zellen. Alle Elemente des Immunsystems, die der Bekämpfung von Pathogenen dienten, standen bereit, aber ohne die zweimal täglich gegebene Dosis eines Katalysators blieb das Alarmsignal aus. Prämature Immunoseneszenz nach Myers-Skelton, so hieß es. Nach den ersten Studien war immer noch nicht klar, ob die Erkrankung aufgrund unerkannter Nebenwirkungen der niedrigen Schwerkraft außerhalb der Erde häufiger auftrat
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