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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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oder ob die erhöhte Strahlung ganz allgemein mehr Mutationen nach sich zog. Es spielte keine Rolle. Wie auch immer sie es bekommen hatte, im Alter von vier Monaten hatte Mei sich eine schlimme Rückenmarksentzündung zugezogen. An irgendeinem anderen Ort zwischen den äußeren Planeten wäre sie daran gestorben. Da aber alle Frauen während der Schwangerschaft nach Ganymed kamen, war dort auch die medizinische Versorgung für Kinder besonders gut. Dr. Strickland hatte sofort erkannt, woran sie litt, und die Reaktionskaskade aufgehalten.
    Prax ging durch die Korridore nach Hause. Sein Kinn schwoll an. Er konnte sich gar nicht erinnern, einen Kinnhaken abbekommen zu haben, aber es wurde dick und tat weh. Auf der linken Seite fuhr ihm ein stechender Schmerz durch die Rippen, wenn er zu tief einatmete, also atmete er lieber flach. An einem Park hielt er an und suchte ein paar essbare Blätter zum Abendessen zusammen. Vor einer großen Efeutute blieb er stehen. Die großen herzförmigen Blätter sahen krank aus. Sie waren noch grün, aber dicker als gewöhnlich und schimmerten golden. Jemand hatte destilliertes Wasser statt der mineralreichen Lösung, die ein stabiles System benötigte, in das hydroponische System eingefüllt. Eine Woche, vielleicht zwei, konnten die Pflanzen es noch aushalten. Dann würden die Pflanzen in den Luftaufbereitern sterben, und wenn das geschah, war alles zu spät. Er glaubte nicht, dass die mechanischen Aufbereiter ausreichen würden, wenn die Pflanzen an der falschen Bewässerung zugrunde gingen. Irgendjemand musste etwas tun.
    Jemand anders.
    Die kleine Glycine kenon , die er bei sich zu Hause aufbewahrte, reckte die Wedel zum Licht. Ohne richtig darüber nachzudenken, steckte er den Finger in die Erde und prüfte die Feuchtigkeit. Der kräftige Geruch der mit Nährstoffen angereicherten Erde war wie Weihrauch. Wenn man es recht bedachte, machte sich die Pflanze ganz gut. Er blickte auf die Zeitanzeige seines Handterminals. Drei Stunden waren vergangen, seit er nach Hause zurückgekehrt war. Das Kinn tat nicht mehr ständig weh, sondern erinnerte ihn nur noch in gewissen Abständen schmerzhaft an die Schlägerei.
    Ohne Medikamente begann die natürliche Flora des Verdauungstrakts zu wuchern. Die Bakterien, die als nützliche Mitbewohner in Meis Mund und im Hals hätten leben sollen, würden gegen sie revoltieren. Nach zwei Wochen wäre sie vielleicht noch nicht tot, aber sogar im günstigsten Fall wäre sie so krank, dass ihre Überlebensaussichten nicht sehr gut waren.
    Es herrschte Krieg. In Kriegen starben auch Kinder. Es war eine Reaktionskaskade. Er hustete, es tat schrecklich weh, und das war immer noch besser als nachzudenken. Er musste weggehen, herauskommen. Rings um ihn starb Ganymed. Er konnte Mei nicht mehr helfen. Sie war fort. Sein kleines Mädchen war fort.
    Das Weinen tat noch mehr weh als das Husten.
    Eigentlich schlief er gar nicht, sondern verlor im Grunde das Bewusstsein. Als er zu sich kam, war das Kinn so stark angeschwollen, dass es knackte, wenn er den Mund zu weit öffnete. Die Rippen fühlten sich dagegen ein wenig besser an. Er setzte sich auf die Bettkante und stützte den Kopf in die Hände.
    Er musste zum Raumhafen. Er würde Basia aufsuchen, sich entschuldigen und fragen, ob er mitfahren durfte. Das Jupiter-System ganz verlassen. An irgendeinen anderen Ort gehen und ohne seine Vergangenheit noch einmal von vorn beginnen. Ohne die gescheiterte Ehe und die zerstörte Arbeit. Ohne Mei.
    Er zog ein nicht ganz so schmutziges Hemd an und tupfte sich die Achselhöhlen mit einem feuchten Tuch ab, kämmte sich die Haare zurück. Er hatte versagt. Es war sinnlos. Er musste sich mit dem Verlust abfinden und weiterleben, so gut es eben ging.
    Er sah im Handterminal nach. An diesem Tag waren die Überprüfung der Leichen, ein Gang durch die Parks und ein Termin mit Dr. Astrigan an der Reihe. Außerdem hatte er sich fünf Bordelle vorgemerkt, die er noch nicht aufgesucht hatte. Dort wollte er nach illegalen Angeboten für Pädophile fragen und musste hoffen, dass ihm nicht irgendein rechtschaffener, braver Gangster den Bauch aufschlitzte. Auch Gangster hatten Kinder, die sie wahrscheinlich sogar liebten. Seufzend tippte er einen neuen Punkt ein: PARK WASSER MINERALISIEREN . Er musste jemanden finden, der Zugang zu den Anlagen hatte. Vielleicht konnten ihm die Wachleute dabei helfen.
    Vielleicht würde er unterwegs sogar Mei finden.
    Man durfte die Hoffnung nicht

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