Calibans Krieg
herausgeholt hat.«
»Ist ’ne Vorschule, no? Da sind Tausende Kinder.«
»Mir kommt es nur auf ein einziges an.«
Die zweite Leiche setzte sich auf, kam auf die Beine und hielt sich den Bauch. Ein Mann mit einer Waffe erschien im Bildausschnitt und heilte den Verletzten, indem er die Kugel aus den Eingeweiden saugte. Sie stritten, wurden ruhiger und trennten sich friedlich. Prax wusste natürlich, dass alles rückwärts ablief, doch sein übermüdeter und ausgehungerter Körper wollte eine sinnvolle Geschichte erkennen. Mehrere Soldaten krochen rückwärts aus der zerstörten Tür. Beinahe sah es aus, als würden sie aus dem Riss geboren. Dann eilten sie geduckt zurück. Es blitzte, und die Tür war wieder heil. Die Thermitladungen saßen wie Früchte auf der Tür, bis ein Soldat in marsianischer Uniform nach vorn rannte, um sie abzupflücken. Als er mit der Ernte fertig war, zogen sich die Soldaten schnell zurück. An der Wand lehnte ein völlig intakter Roller.
Dann ging die Tür auf, und Prax sah sich selbst rückwärts herauskommen. Er wirkte jünger. Er schlug gegen die Tür, trommelte heftig gegen das Metall, dann sprang er davon, setzte sich ungeschickt auf den Roller und entfernte sich rückwärts.
Es wurde ruhig an der Tür. Keine Bewegung war zu erkennen. Prax hielt den Atem an. Rückwärtsgehend kam eine Frau mit einem fünfjährigen Jungen, den sie auf der Hüfte trug, verschwand im Inneren und tauchte wieder auf. Prax hielt sich vor Augen, dass die Frau ihren Sohn nicht abgeliefert, sondern abgeholt hatte. Zwei weitere Gestalten liefen rückwärts durch den Flur. Nein, drei.
»Halt, da ist es«, sagte Prax. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. »Das ist sie.«
Der Bursche wartete, bis die drei Gestalten gut von der Kamera erfasst wurden, als sie auf den Flur hinaustraten. Mei machte ein etwas trotziges Gesicht. Diese Miene erkannte er sogar auf dem niedrig aufgelösten Bild der Überwachungskamera. Und der Mann, der sie hielt …
Erleichterung kämpfte in seiner Brust gegen Wut. Die Erleichterung trug den Sieg davon. Es war Dr. Strickland. Sie war mit Dr. Strickland mitgegangen, der über ihre Krankheit und die Medikamente im Bilde war und genau wusste, was nötig war, um Mei am Leben zu halten. Er sank auf die Knie, schloss die Augen und weinte. Wenn der Arzt sie mitgenommen hatte, war sie nicht tot. Seine Tochter war nicht tot.
Es sei denn, dieser dämonische Gedanke schlich sich mit einiger Verspätung in seinen Kopf, es sei denn, Strickland war auch tot.
Die Frau war eine Fremde. Dunkelhaarig und mit Gesichtszügen, die Prax an eine russische Botanikerin erinnerten, mit der er einmal zusammengearbeitet hatte. Sie hielt ein zusammengerolltes Blatt in der Hand. Ihr Lächeln konnte man als Belustigung oder Ungeduld deuten. Er war nicht sicher.
»Können Sie ihnen folgen?«, fragte er. »Können Sie erkennen, wohin sie gegangen sind?«
Der Bursche sah ihn mit geschürzten Lippen an.
»Für einen Salat? Nö. Ein Karton mit Hühnchen und lecker Soße dazu.«
»Ich habe kein Hühnchen.«
»Dann war’s das.« Der Bursche zuckte mit den Achseln. Seine Augen waren tot wie Murmeln. Prax wollte ihn schlagen und würgen, bis er die Bilder aus den sterbenden Computern holte, doch es stand zu befürchten, dass der Kerl irgendwo eine Pistole oder etwas Schlimmeres hatte und im Gegensatz zu Prax auch damit umzugehen wusste.
»Bitte«, flehte Prax.
»Hab den Auftrag erfüllt. Jetzt nicht drängeln, si?«
Die Erniedrigung saß ihm wie ein Kloß in der Kehle. Er schluckte schwer.
»Hühnchen«, sagte Prax.
»Si.«
Prax öffnete seine Tasche und legte zwei Handvoll Blätter, eine orangefarbene Paprika und Frühzwiebeln auf die Pritsche. Der Junge schnappte sich die Hälfte und stopfte sich alles in den Mund, wobei er in animalischer Freude die Augen zusammenkniff.
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, versprach Prax ihm.
Er konnte überhaupt nichts tun.
Das einzige genießbare Protein auf der ganzen Station kam entweder als dünnes Rinnsal von den Versorgungsschiffen oder lief auf zwei Beinen herum. Andere Einwohner hatten Prax’ Strategie übernommen und ernteten die Pflanzen in den Parks und Hydroponikanlagen. Sie hatten jedoch ihre Hausaufgaben nicht gemacht und verzehrten auch ungenießbare Pflanzen. Dadurch litt die Luftaufbereitung, und das gestörte Ökosystem der Station geriet noch weiter in Schieflage. Eines führte zum anderen, und Hühnchen gab es einfach nicht, so wenig wie
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