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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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schon seit seiner Kindheit, aber der Slang des Gürtels war ihm immer noch so fremd wie jemandem, der gerade erst aus der Schwerkraftsenke heraufgekommen war. Der Junge hätte normalerweise völlig unverständlich gesprochen, doch da Prax ein zahlender Kunde war, bemühte er sich, einigermaßen deutlich zu reden.
    Die Tastatur, die der Techniker zum Programmieren benutzte, war doppelt so groß wie ein normales Handterminal. Das Plastik war alt und durch häufige Benutzung abgegriffen. An einer Seite kroch ein Fortschrittsbalken entlang, bei jeder Bewegung erschienen Hinweise in vereinfachtem Chinesisch.
    Das Wohnloch war billig und befand sich dicht unter der Oberfläche des Mondes. Es war höchstens drei Meter breit und umfasste vier Räume, die hintereinander aus dem nackten Eis gehauen waren. Der öffentliche Gang davor war kaum geräumiger und auch nicht wesentlich besser beleuchtet. Die alten Plastikwände schimmerten feucht vor Kondenswasser. Sie befanden sich in dem Raum, der am weitesten von dem Korridor entfernt war. Der Bursche hockte auf der Pritsche, und Prax wartete gebückt in der Tür.
    »Kann nicht versprechen, dass alles da ist«, erklärte der Junge. »Sie müssen eben nehmen, was Sie kriegen, sabé?«
    »Ich freue mich schon, wenn Sie überhaupt etwas finden.«
    Der Bursche nickte knapp. Prax kannte seinen Namen nicht. Nach Namen fragte man sowieso nicht, wenn es um solche Dinge ging. Die letzten Tage, in denen er versucht hatte, jemanden zu finden, der in das Überwachungssystem eindringen konnte, waren ein langer Tanz zwischen seinem eigenen Unwissen über die Schattenwirtschaft auf der Ganymed-Station und der Verzweiflung und dem Hunger gewesen, die selbst in den korruptesten Vierteln um sich griffen. Vor einem Monat hatte der Bursche noch Firmendaten abgeschöpft, um sie weiterzuverkaufen oder Geld zu erpressen. Heute suchte er Mei und bekam dafür ein paar grüne Blätter, die eine kleine Mahlzeit ergaben. Der Tauschhandel mit landwirtschaftlichen Produkten, die älteste Form des Handels in der Geschichte der Menschheit, erlebte auf Ganymed eine neue Blüte.
    »Originalversion ist futsch, haben die Server abgesaugt«, erklärte der Junge. »Da kommt keiner rein, nix zu machen.«
    »Aber wenn Sie nicht in die Server des Überwachungssystems eindringen können …«
    »Muss ich gar nicht. Die Kamera hat einen Speicher, der Speicher hat einen Cache. Seit der Abriegelung läuft er einfach voll. Da sieht niemand mehr hin.«
    »Sie machen Witze«, entgegnete Prax. »Die beiden größten Armeen im System bedrohen sich gegenseitig, aber niemand beobachtet die Überwachungskameras?«
    »Die beobachten einander. Was wir machen, juckt die nicht.«
    Als der Fortschrittsbalken das Ende der Skala erreicht hatte, ertönte ein Signal. Der Junge öffnete eine Liste mit Identifizierungscodes und blätterte sie leise murmelnd durch. Im vorderen Raum jammerte ein Baby. Es klang hungrig. Natürlich, was auch sonst.
    »Ihr Kind?«
    Der Bursche schüttelte den Kopf. »Mitbewohner.« Zweimal tippte er einen Code ein, und ein neues Fenster öffnete sich und zeigte einen breiten Flur. Eine halb geschmolzene und mit Gewalt aufgestemmte Tür. Sengspuren an den Wänden und, noch schlimmer, eine Wasserpfütze. Freies Wasser sollte es nicht geben. Die Umweltkontrolle geriet immer mehr aus den Fugen. Der Bursche wandte sich an Prax. »C ’ est là?«
    »Ja«, bestätigte Prax. »Das ist es.«
    Der Bursche nickte und beugte sich wieder über die Konsole.
    »Ich brauche einen Zeitpunkt vor dem Angriff. Bevor der Spiegel heruntergekommen ist«, erklärte Prax.
    »Alles klar, Boss. Muss zurückspulen. Ich blende alle Frames mit null Delta aus und filtere nur die raus, wo sich was bewegt, que si?«
    »Schön, ja, gut so.«
    Prax machte einen Schritt nach vorn und spähte dem Jungen über die Schulter. Das Bild flackerte, aber auf dem Bild rührte sich nichts, wenn man davon absah, dass die Pfütze langsam kleiner wurde. Sie rasten rückwärts durch die vergangenen Tage und Wochen. Bis zu dem Augenblick, in dem alles zerfallen war.
    Auf dem Bildschirm tauchten Sanitäter auf, die rückwärtsliefen und einen Toten neben der Tür ablegten. Dann einen zweiten quer darüber. Die Leichen lagen reglos herum, schließlich bewegte sich eine und klopfte leicht an die Tür, bewegte sich kräftiger, stand taumelnd auf und verschwand.
    »Es müsste auch ein Mädchen dort sein. Ich suche jemanden, der dort ein vier Jahre altes Mädchen

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