Calibans Krieg

und doch nicht kannte. Wie den Generalsekretär oder einen berühmten Schauspieler.
    Prax konnte nicht anders, er starrte den Mann unverwandt an. Ja, dieses Gesicht kannte er. Er kannte es ganz genau. Es hatte mit dem Krieg zu tun.
    Blitzartig kam die Erkenntnis. Er saß in seiner Wohnung, hielt Mei auf den Armen und versuchte, sie zu beruhigen. Sie war gerade mal ein Jahr alt und konnte noch nicht laufen. Die Ärzte probierten herum, weil sie noch nicht die richtige Zusammensetzung der Medikamente gefunden hatten, mit denen sie überleben konnte. Sie schrie, weil sie Koliken hatte, und gleichzeitig überschlugen sich die Nachrichten. Immer wieder wurde das Bild eines Mannes gezeigt.
    Mein Name ist James Holden. Mein Schiff, die Canterbury , wurde soeben von einem Kriegsschiff zerstört, das Stealth-Technologie und Teile benutzt, die Seriennummern der marsianischen Raummarine tragen.
    Er war es. Deshalb hatte er das Gesicht erkannt und trotzdem das Gefühl gehabt, den Mann noch nie gesehen zu haben. Irgendwo mitten in seiner Brust verspürte Prax einen Impuls und machte einen Schritt nach vorn, dann hielt er inne. Hinter den Türen der Frachthalle jubelte jemand. Prax zückte das Handterminal und betrachtete die Liste. Sechzehn Namen, sechzehn verschwundene Kinder. Unten auf der Seite stand in einfachen Blockbuchstaben: Hilfe holen.
    Auf einmal unsicher und schüchtern näherte Prax sich dem Mann, der Kriege ausgelöst und Planeten gerettet hatte.
    »Hilfe holen«, sagte er und ging auf den Mann zu.

11 Holden
    Santichai und Melissa Supitayaporn waren achtzig Jahre alte, auf der Erde geborene Missionare der Kirche des menschlichen Aufstiegs, einer Religionsgemeinschaft, die alles Übernatürliche in jeglicher Form ablehnte und deren Theologie sich auf einen einzigen Glaubenssatz reduzieren ließ: Menschen können besser sein, als sie sind, also lasst es uns tun. Die beiden leiteten das Hilfszentrum mit der rücksichtslosen Effizienz geborener Diktatoren. Nur Minuten nach seiner Ankunft hatte Holden wegen der Auseinandersetzung mit dem Zollbeamten im Raumhafen von Santichai, einem zerbrechlichen Kerlchen mit schütterem weißem Haar, die erste verbale Abreibung kassiert. Nachdem er mehrere Versuche unternommen hatte, sich zu rechtfertigen, woraufhin ihn der winzige Missionar jedes Mal niedergebrüllt hatte, gab er es einfach auf und entschuldigte sich.
    »Machen Sie unsere Situation nicht noch schwieriger, als sie es sowieso schon ist«, wiederholte Santichai. Anscheinend hatte ihn die Entschuldigung etwas besänftigt, doch er legte nach wie vor Wert darauf, seinen Standpunkt zu verdeutlichen, und fuchtelte mit einem dürren braunen Finger vor Holdens Nase herum.
    »Ich hab’s verstanden.« Holden hob beschwichtigend beide Hände. Der Rest seiner Crew war schon bei Santichais erstem wütendem Ausbruch verschwunden und hatte es Holden überlassen, sich allein mit dem Mann herumzuschlagen. Naomi war längst auf der anderen Seite des großen Lagerhauses und sprach ruhig mit Santichais Frau Melissa, die hoffentlich nicht ganz so explosiv war. Holden hörte jedenfalls keine Rufe, aber da mehrere Dutzend Menschen in der Nähe herumliefen, Getriebe knirschten, Motoren aufheulten und drei Gabelstapler beim Rückwärtsfahren Warnsignale abgaben, hätte er es vermutlich nicht einmal gehört, wenn Melissa Naomi mit Granaten beworfen hätte.
    Holden suchte verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit. Er deutete auf Naomi. »Entschuldigen Sie, ich muss jetzt …«
    Santichai unterbrach ihn mit einer knappen Geste, die sein lockeres orangefarbenes Gewand flattern ließ, und Holden war außerstande, sich dem winzigen Mann zu widersetzen.
    »Das hier«, Santichai deutete auf die Kisten, die von der Somnambulist ausgeladen wurden, »reicht nicht aus.«
    »Ich …«
    »Die AAP hat uns zweiundzwanzigtausend Kilo Protein und andere Hilfsgüter bis letzte Woche versprochen. Das hier sind weniger als zwölftausend.« Santichai unterstrich seine Empörung mit einem energischen Stups auf Holdens Bizeps.
    »Ich bin doch nicht dafür verantwortlich, dass …«
    »Warum versprechen Sie uns Dinge, die Sie nicht liefern können? Versprecht uns zwölftausend, wenn ihr zwölftausend habt. Versprecht uns nicht zweiundzwanzigtausend und liefert nur zwölf.« Er stupste erbost weiter.
    »Ich stimme Ihnen ja zu.« Holden zog sich mit erhobenen Händen aus der Reichweite des aufdringlichen Zeigefingers zurück. »Ich stimme Ihnen absolut zu. Ich setze