Calibans Krieg
gestanden. Er und Naomi waren jetzt ein Liebespaar, doch sogar das verblasste gegenüber den starken Gefühlen, die Prax antrieben. Holden fühlte sich, als hätte er etwas Wichtiges verloren, ohne zu begreifen, was es eigentlich war.
Während Prax unter der Dusche gestanden hatte, war Holden die Leiter zum Operationsdeck hinaufgestiegen, wo Naomi sich in Ganymeds verstümmeltes Überwachungssystem gehackt hatte. Er hatte sie vom Stuhl hochgezogen und ein paar Sekunden lang an sich gedrückt. Zuerst war sie erschrocken und hatte sich ein wenig gesträubt, aber dann hatte sie sich in seinen Armen entspannt. »Hallo«, hatte sie ihm ins Ohr geflüstert. Auch wenn es nur ein schwacher Abklatsch war, es war das, was er im Augenblick hatte, und es tat verdammt gut.
Prax blieb an einer Kreuzung stehen und klopfte sich mit den Händen auf die Oberschenkel, als wollte er sich selbst antreiben. Naomi hielt im Schiff die Stellung und verfolgte ihre Fortschritte mithilfe von Positionsmeldern, die sie am Körper trugen, und der noch funktionierenden Überwachungskameras der Station.
Amos, der hinter Holden stand, räusperte sich und sagte so leise, dass Prax es nicht hören konnte: »Wenn wir den Kerl aus den Augen verlieren, haben wir Mühe, den Rückweg zu finden. Das gefällt mir nicht.«
Holden nickte. Amos hatte recht.
Selbst unter den günstigsten Umständen war Ganymed ein Labyrinth identischer grauer Korridore, die hin und wieder von parkähnlichen größeren Höhlen unterbrochen wurden. Inzwischen war Ganymed stark verfallen. Die meisten öffentlichen Informationsschalter waren dunkel, funktionierten nicht oder waren vorsätzlich zerstört worden. Das öffentliche Netz war unzuverlässig, und die Einwohner zogen als Plünderer durch den Leichnam ihres einst so großartigen Mondes und hatten abwechselnd Angst oder bedrohten die anderen. Er und Amos trugen ihre Waffen jetzt offen. Amos hatte eine finstere Miene aufgesetzt, die allen Passanten sofort erklärte, dass man sich besser nicht mit ihm anlegte. Nicht zum ersten Mal fragte Holden sich, was für ein Leben Amos vor ihrem gemeinsamen Dienst auf dem Eisfrachter Canterbury geführt hatte.
Schließlich hielt Prax abrupt vor einer Tür an, die sich in nichts von hundert anderen Türen unterschied, an denen sie vorbeigekommen waren. Sie zweigte von einem grauen Korridor ab, der wie alle anderen grauen Gänge aussah.
»Hier ist es. Hier wohnt er.«
Ehe Holden antworten konnte, hämmerte Prax bereits an die Tür. Holden wich ein wenig zur Seite aus, damit er an Prax vorbei die Tür beobachten konnte. Amos postierte sich auf der anderen Seite, hielt den Karton mit den Hühnchenkonserven unter einem Arm und hakte den rechten Daumen direkt über dem Halfter in den Hosenbund. Nachdem sie ein Jahr im Gürtel patrouilliert waren und die übelsten Schakale bekämpft hatten, die sich dort herumtrieben, weil es keine Regierungsgewalt gab, reagierte die Crew fast instinktiv auf gefährliche Situationen. Holden wusste dies zwar zu schätzen, war aber keineswegs sicher, ob es ihm auch gefiel.
Ein dürrer junger Bursche, der kein Hemd trug, aber dafür mit einem Messer bewaffnet war, riss die Tür auf.
»Verdammt, was …« Als er Holden und Amos sah, die Prax flankierten, verstummte er. Dann fiel sein Blick auf die Waffen. »Oh.«
»Ich habe Hühnchen mitgebracht.« Prax deutete auf den Karton, den Amos trug. »Ich muss den Rest der Kameraaufzeichnung sehen.«
»Hätte ich dir auch besorgen können«, flüsterte Naomi Holden ins Ohr. »Wenn ich genug Zeit gehabt hätte.«
»Die Zeit ist ja gerade das Entscheidende«, hauchte Holden. »Aber es ist immerhin eine zusätzliche Möglichkeit.«
Der dürre Bursche zuckte mit den Achseln, zog die Tür ganz auf und winkte Prax herein. Holden und Amos folgten.
»So«, sagte der Bursche. »Dann zeig mal her, sabé?«
Amos stellte den Karton auf den schmutzigen Tisch, nahm eine Dose heraus und hielt sie hoch, damit der Junge sie sehen konnte.
»Soße?«, fragte er.
»Wie wäre es mit einer zweiten Dose?« Freundlich lächelnd ging Holden auf den Burschen zu. »Also hol schon den Rest der Aufnahmen, und dann verschwinden wir wieder. Einverstanden?«
Der Bursche reckte das Kinn und schob Holden eine Armeslänge zurück.
»Nicht so drängeln, macho.«
»Entschuldigung.« Holden lächelte unverwandt. »Aber jetzt hol das verdammte Video, das du meinem Freund hier versprochen hast.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«,
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