Caligula - Eine Biographie
hatte ihn nämlich bis auf den Grund durchschaut und oft geäußert, Gaius lebe zu seinem und aller Verderben…» (Suet.
Cal.
11).
Eine Einschätzung dieses Berichtes fällt leicht, wenn man die in unverdächtigen – da nicht auf Caligula bezogenen – Zusammenhängen berichteten Rahmenbedingungen bedenkt. Aus Tacitus’ oben zitierter Schilderung wissen wir, daß bei Verurteilungen und Hinrichtungen nach Sejans Tod die Reaktionen der anwesenden Personen beobachtet und weitergegeben wurden, um ihrer möglichen feindlichen Einstellung dem Kaiser gegenüber gewahr zu werden. Auch Caligulas Anwesenheit bei Hinrichtungen auf Capri, über die ansonsten nichts berichtet wird, dürfte somit unter Beobachtung gestanden haben. Rückschlüsse vom Ausbleiben von Gefühlsausbrüchen auf seinen Charakter sind daher wenig angemessen. Über Kneipen, Bordelle und Theater auf der Insel Capri gibt es weder schriftliche noch archäologische Zeugnisse. Genauer gesagt: Ein Großstadtmilieu wie in Rom, in dem man inkognito untertauchen konnte, gab es dort nicht. Andererseits gibt es keinerlei Hinweise darauf, daß Caligula sich bei den gelegentlichen Besuchen auf dem Festland aus dem kaiserlichen Gefolge hätte entfernen können oder wollen. Er wird somit von Sueton mit Eigenschaften ausgestattet, die von der Jugend eines späteren, ähnlich verhaßtenKaisers, von Nero aus Rom berichtet werden. Die Angabe schließlich, der alte Kaiser habe die Persönlichkeit des jungen Mannes durchschaut, widerspricht nicht nur explizit der von Sueton selbst und anderen berichteten perfekten «Verstellung», die Caligula auszeichnete und die allein sein Überleben auf Capri gesichert haben dürfte, sie widerspricht auch allem, was sich aus dem jahrelangen Verhalten des Tiberius über dessen eigene Persönlichkeit erschließen läßt. Wenn überhaupt etwas, so fehlte ihm, den unangemessenes Vertrauen gegenüber einem (Sejan) und übertriebenes Mißtrauen gegenüber allen anderen auszeichnete, genau das, was er hier in überragendem Maße an den Tag gelegt haben soll: Menschenkenntnis. Suetons Bericht ist somit schlichtweg falsch. Er projiziert angebliche Eigenschaften des späteren «schlechten» Kaisers Caligula in die Zeit seines Aufenthaltes auf Capri.
Für den letztendlich erfolgreichen Weg Caligulas zum Kaiserthron war, darin sind sich alle Quellen einig, die Unterstützung des Prätorianerpräfekten Macro entscheidend. Ebenfalls einig sind sie sich darin, daß – wie angesichts der ausbleibenden kaiserlichen Entscheidung kaum anders zu erwarten – eine Intrige im Spiel war. Wie diese Intrige genau abgelaufen ist, läßt sich demgegenüber nicht mehr klären, was auf eine gute Inszenierung deutet, sei es von Caligula, sei es von Macro, sei es von Ennia, der Frau des Prätorianerpräfekten.
Nachdem Iunia Claudilla im Kindbett gestorben war, soll eine Affäre zwischen Caligula und Ennia begonnen haben. Philo gibt die «verbreitete Meinung» wieder, Ennia habe, nachdem und weil sie ein sexuelles Verhältnis zu Caligula begonnen hatte, ihren Mann erfolgreich beeinflußt, jenen gegen Anfeindungen anderer vor Tiberius in Schutz zu nehmen und auf dem Weg zum Kaiserthron zu unterstützen. Wenn diese Version stimmt, dürften Ennias Ambitionen, Kaiserin zu werden, am Anfang gestanden haben. Bei Sueton heißt es dagegen, Caligula habe Ennia verführt, ihr ein Eheversprechen gegeben und auf diese Weise mit ihrer Unterstützung Macros Gunst erlangt. Tacitus und ähnlich Cassius Dio berichten, Macro habe versucht, die Gunst Caligulas zu erlangen, indem er seine Frau dazu brachte, Caligula durch eine Affäre an sie und damit an sich zu binden. Die letzte Version ist zweifellos die unplausibelste. Sieunterstellt, daß Caligulas Thronfolge eine – unabhängig von Macro – ausgemachte Sache war und daß Caligula nicht von sich aus versucht hätte, die Gunst Macros, der allgemein als der neben dem Kaiser mächtigste Mann jener Zeit geschildert wird, zu gewinnen. Die Schwierigkeit einer Beurteilung hängt unter anderem damit zusammen, daß nicht genau zu klären ist, wie oft Macro auf Capri anwesend war, wo Ennia sich jedenfalls aufgehalten haben muß. Vermutlich war gar keine sexuelle Dimension im Spiel, und das Ehepaar bereitete nur arbeitsteilig – Macro in Rom, Ennia als Vertraute im Kontakt mit Caligula auf Capri – dessen Thronfolge vor. Eine solche Deutung stünde im Einklang mit dem einträchtigen Verhältnis der drei in den ersten Monaten nach der
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