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Caligula - Eine Biographie

Caligula - Eine Biographie

Titel: Caligula - Eine Biographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aloys Winterling
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Danach verkündete der Kaiser eine Wiederaufnahme der Majestätsprozesse, befahl, seine Anordnungen auf eine Bronzestele zu schreiben, und verließ das Senatsgebäude.
    Nicht nur die Maske hatte Caligula damit der Aristokratie vom Gesicht gerissen, er hatte auch noch benannt, was dahinter steckte: die fehlende Akzeptanz der kaiserlichen Herrschaft, der Haß der Aristokratie auf den Kaiser und ihre Bereitschaft, gegen ihn loszuschlagen, wenn sich denn eine günstige Gelegenheit bot. Auch das konnte, gerade angesichts der zuvor erfolgten Verschwörung gegen ihn, niemand leugnen. Aber das Ungeheuerliche der Rede bestand gar nicht darin,
was
Caligula gesagt hatte. Man brauchte die Senatoren nicht über ihr Verhalten zu informieren. Bei jeder unterwürfigen Ehrung eines Kaisers war allen Senatoren klar, daß sie eine unterwürfige Ehrung vornahmen, und auch die latente Verschwörungsbereitschaft war keine Neuigkeit. Das Unerhörte war,
daß
er es gesagt hatte. Indem der Kaiser selbst dem Senat sein Kommunikationsverhalten gegenüber dem Kaiser vorhielt, machte er ihn kommunikationsunfähig. Die Senatoren konnten sich an seiner Metakommunikation über die doppelbödige Kommunikation nicht beteiligen. Die Gewaltverhältnisse verhinderten, daß sie hätten einstimmen können: «Ja, wir hassen dich und würden dich gern beseitigen,» was der Realität wahrscheinlich – spätestens zu diesem Zeitpunkt – entsprochen hätte. Sie warenvielmehr macht-, hilf- und sprachlos und zugleich persönlich gedemütigt.
    Noch ein Drittes kam hinzu: Die Maske auf seiten der Kaiser, ihr Versuch, die Akzeptanz der Aristokratie zu gewinnen, indem sie so taten, als seien sie gar keine Alleinherrscher, auch diese Maske ließ Caligula fallen. Die lebenslange Schauspielkunst des Augustus, die er selbst in den letzten beiden Jahren kopiert hatte, wurde somit ebenfalls als Lüge, als «Schein» und «eitler Ruhm» entlarvt, der letztlich nur die kaiserliche Sicherheit gefährdete. Statt dessen erklärte er seinen Verzicht auf die aristokratische Anerkennung seiner Stellung und sagte voraus, daß sich an der Unterwürfigkeit der Aristokratie gleichwohl nichts ändern werde. Damit hatte Caligula nichts weniger als das Ende des augusteischen Prinzipats verkündet. Er hatte die politische Paradoxie der Zeit, die widersprüchliche Verbindung von Republik und Monarchie, offen als solche benannt und sich zu einer der beiden Seiten, zur Monarchie bekannt.
    Wie reagierten die Senatoren? «Im Augenblick», schreibt Dio, «lähmte sie Schrecken und Niedergeschlagenheit, so daß sie nichts zu sagen und zu unternehmen vermochten. Doch tags drauf versammelten sie sich wieder und fanden viele Lobesworte für Gaius als den aufrichtigsten und frömmsten Herrscher, ihm herzlich dankbar, daß sie nicht gleich den anderen den Tod gefunden hatten. Und so beschlossen sie, jedes Jahr seiner Menschenfreundlichkeit Opfer darzubringen… an jenem Tag, als er die Rede verlesen hatte.» (Cass. Dio 59, 16, 9f.) Mit anderen Worten: Sie schmeichelten ihm und praktizierten damit genau jene Kommunikationsweise weiter, die der Kaiser tags zuvor als Heuchelei entlarvt hatte. Sie ehrten ihn weiterhin, wie er es zynisch vorausgesagt hatte. Sie hatten keine andere Chance. Aber ihre Selbsterniedrigung gegenüber der kaiserlichen Gewalt war nun ins Extreme gesteigert worden.
    Mit dieser Rede hatte Caligula Fakten geschaffen, die nicht wieder rückgängig zu machen waren. Zwar hatten auch die beteiligten Konsulare durch ihre Verschwörung die Doppelbödigkeit der Beziehungen zwischen Aristokratie und Kaiser dokumentiert. Aber die Verschwörung war geheim gewesen, und die Wahrheit der Feindschaft gegenüber dem Kaiser, die dabei zutage trat, hätte durch Bestrafung der Verantwortlichen imSenat äußerlich wieder überdeckt werden können. Jetzt war eine neue Situation entstanden. Indem der Kaiser die Doppelbödigkeit der Kommunikation zwischen der Aristokratie und ihm selbst offengelegt hatte, stand fortan jede Äußerung des Senats ihm gegenüber unter dem Verdikt: Sie ist nicht ehrlich gemeint, und der Kaiser weiß dies auch. Und die Senatoren wissen, daß der Kaiser weiß, daß sie wissen, daß er das weiß. Umgekehrt war aber auch jedem zukünftigen Entgegenkommen des Kaisers der Weg versperrt: Jeder hätte gewußt, der Kaiser sagt das nur, meint es aber nicht so. Und der Kaiser hätte gewußt, daß die Senatoren wissen, daß auch er weiß, daß sie das wissen. Mit anderen Worten:

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