Callboys - Die Schönen der Nacht
danach im Dunkeln lagen, wandte Sam mir den Rücken zu und sagte so leise, dass ich es fast nicht hören konnte: „Ich tue es, weil es dort leichter ist, so zu tun als ob.“
„Was meinst du, Baby?“ Meine Stimme klang ebenso schläfrig, wie seine sich angehört hatte, doch bei seinen Worten hatte ich meine Augen weit aufgerissen, und mein Herz klopfte wild.
„Im Haus meiner Mom zu bleiben. Nachts, in dem Zimmer, ist es leicht, mir vorzustellen, ich wäre noch ein Kind und mein Dad wäre noch am Leben.“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, also tat ich, was ich konnte. Ich schmiegte mich mit der Brust an seinen Rücken und schlang den Arm um seine Taille, obwohl ich nicht wusste, ob das der Trost war, den er wollte. Unter meinen Lippen hob und senkte sich seine Schulter mit seinen Seufzern.
Ich verbringe mein Leben damit, Menschen beim Trauern zu helfen, und doch glaube ich nicht, dass ich schon alle Arten von Kummer gesehen habe, die es gibt. Traurigkeit ist immer wieder anders, ebenso wie ein Lied.
„Er war nie bei einem meiner Auftritte“, erzählte Sam. „Er hat mir gesagt, wenn ich nach New York ginge und versuchen würde, es dort zu schaffen, würde ich versagen. Wir stritten uns darüber, und hinterher bin ich lange nicht zu meinen Eltern nach Hause gekommen, und als ich sie dann doch wieder besuchte, fragte er mich niemals, ob ich vorankam. Nicht ein einziges verdammtes Mal, Grace. Ich schickte ihm die Kritiken, die ich in alternativen Zeitungen bekommen hatte. Nicht ein einziges verdammtes Mal sagte er etwas darüber.“
Die Muskeln in seinem Arm spannten sich an und traten hervor. Er zog die Beine an, sodass mein Arm zwischen seinen Knien und seinem Bauch klemmte. Er rollte sich zusammen, ein großer Mann, der sich klein machte.
„Und dann starb der verfluchte Kerl“, stieß Sam mit gebrochener Stimme hervor. „Und ich war immer noch der böse Sohn, derjenige, der ihn nie besucht hatte. Aber das lag nicht daran, dass ich immer noch böse auf ihn war, Grace.“
Manchmal brauchen Menschen keine Antwort von uns. Sie brauchen nur unsere Hilfe, um endlich das sagen zu können, was sie sagen müssen.
„Woran lag es dann?“
„Ich wollte nicht, dass er immer noch glaubte, ich sei ein Versager. Ich wollte nicht, dass mein Dad noch im Augenblick seines Todes glaubte, ich sei ein Versager. Aber weißt du was? Das hat er sowieso getan. Er ist, verdammt noch mal, gestorben, und ich bin, verdammt noch mal, wieder aufgetaucht. Nun glaubt meine Mutter, dass ich der letzte Arsch bin. Genauso wie mein Bruder. Genauso wie ich. Verdammt. Verdammt!“
Sein Körper bebte, seine Stimme wurde vom Kissen gedämpft. Seine Schultern zuckten rhythmisch, und meine Kehle wurde vor lauter Mitgefühl eng.
„Sam.“
Er ersparte es mir, nach den richtigen Worten suchen zu müssen, indem er sich umdrehte und sein Gesicht an meinem Körper verbarg. Heiße Tränen tropften auf meine Haut, als er sich an mich klammerte. Wieder und wieder strich ich ihm über das Haar, während er, den ganzen Körper angespannt, versuchte, sein Schluchzen zu unterdrücken. Als er sich schließlich entspannte, als seine langen Glieder sich lockerten und sein Atem langsam und gleichmäßig wurde, küsste ich ihn auf die Stirn.
„Du wirst es überwinden.“
Ich hatte gedacht, er sei eingeschlafen, doch er zog mich sofort enger an sich. „Glaubst du?“
„Ja, Sam. Das glaube ich.“
Er hatte gesagt, dass er mich liebte, aber ich hatte es ihm nicht gesagt. Irgendwie hatte ich gedacht, dadurch würde alles anders werden, aber das war nicht so. Jedenfalls nicht nach außen. Innerlich wunderte ich mich noch immer, wie einfach es plötzlich war, mir ein Leben mit Sam vorzustellen. Wie leicht es mir fiel, ihn mit grauen Strähnen im Haar und Falten um die Augen vor mir zu sehen. Wie problemlos ich mir Kinder mit seinem dunklen Haar und meinen hellen Augen vorstellen konnte.
Natürlich sprach ich mit niemandem darüber. Schließlich wollte ich eigentlich nicht einmal selber daran denken, denn die alten Ängste tauchten jedes Mal wieder auf, wenn ich mich einer gramgebeugten Witwe gegenübersah, die darüber klagte, dass sie nicht wusste, wie sie allein zurechtkommen sollte. Doch es war nun leichter, den Männern und Frauen zuzuhören, die mit freudigen Stimmen über die guten Zeiten sprachen, die sie gehabt hatten. Die Erinnerungen. Darüber, wie viel reicher ihr Leben durch ihre Liebe gewesen war. Dass der Verlust ihnen
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