Callboys - Die Schönen der Nacht
diese Erinnerungen nicht nehmen konnte und dass sie nichts bereuten.
Shelly hatte wieder angefangen, mit mir zu reden, allerdings nicht auf die lockere Art, wie sie es vorher getan hatte. Sie trug nun eine andere Frisur. Und kleidete sich anders. Sie ging selbstbewusster mit den Kunden um. Vorher hatte sie mich oft immer wieder nach Anweisungen zu Arbeiten fragen müssen, von denen sie sehr genau wusste, wie sie zu machen waren, einfach nur, um sich zu vergewissern, dass sie alles richtig machte. Nun fragte sie nicht mehr. Es war in gewisser Weise eine Erleichterung, sie nicht mehr ständig in ihrem Tun bestärken zu müssen. Dadurch gewann ich eine Menge Zeit. Da ich aber wusste, dass sie nicht mehr fragte, weil sie möglichst wenig mit mir reden wollte, und nicht, weil die Erleuchtung sie getroffen hatte, konnte ich die Veränderung nicht wirklich genießen.
Da seine Zeit als Praktikant sich ihrem Ende näherte, hatte Jared von einigen anderen Bestattungsinstituten aus der näheren Umgebung Jobangebote erhalten. Es wunderte mich, dass er mir davon erzählte. Er sagte mir, er würde darüber nachdenken, und dabei beließen wir es. Ich wollte ihn bitten zu bleiben, da ich auf die Annehmlichkeit, eine Hilfe zu haben, nicht verzichten wollte, aber ich hätte ihm keinen Vorwurf gemacht, wenn er einen Job bei jemandem angenommen hätte, der ihm mehr zahlen und ihm günstigere Arbeitszeiten bieten konnte.
Die Möglichkeit, dass Jared bald ging, veranlasste mich allerdings, mich einmal wieder mit meinen Finanzen zu beschäftigen. Natürlich hätte ich es nicht zugegeben, doch ich vermisste wahrhaftig den finanziellen Sachverstand meines Dads. Auf meinem persönlichen Konto hatte ich mehr Geld als jemals zuvor und hätte einen Rat gebrauchen können, wie ich es am besten anlegen sollte. Als ich mir meine früheren Kontobewegungen anschaute, konnte ich kaum glauben, wie viel Geld ich für Mrs. Smiths Gentlemen ausgegeben hatte … dennoch tat es mir um keinen einzigen Cent leid.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach mich bei meinen verrückten Erinnerungen daran, wie ich in einer Nacht voller Federn und Körperfarbe aus flüssiger Schokolade fünfhundert Dollar durchgebracht hatte. Ich hob den Kopf. „Shelly?“
Sie kam in mein Büro, ohne auf mein Zeichen zum Eintreten zu warten, und schloss die Tür hinter sich. Als sie sich hinsetzte, zog ich die Brauen hoch. Auf dem Schoß hatte sie eine Mappe, und mein Herz sank. Sie wollte kündigen. Ich wusste es.
„Ich möchte mit dir über Jared reden, Grace.“
Nachdem ich die Datei mit meinem Konto geschlossen hatte, wandte ich Shelly meine volle Aufmerksamkeit zu. „Was ist mit ihm?“
Shelly räusperte sich, und ich erhaschte einen Blick auf das Mädchen, das damals angefangen hatte, bei mir zu arbeiten. „Ich liebe ihn“, stieß sie hervor.
„Wie schön für dich. Für euch beide.“ Ich war mir nicht sicher, was Shelly mir sagen wollte. Ihre Erklärung war nicht wirklich etwas Neues.
„Wir wollen heiraten.“
„Meinen Glückwunsch“, sagte ich in zurückhaltendem Ton. „Das sind gute Nachrichten.“
Ein winziges Lächeln verursachte einen Riss in Shellys unnahbarer Fassade. „Ich bin so glücklich!“
„Hm, hm. Wie geht Duane damit um?“
Ein schmerzlicher Ausdruck zog über Shellys Gesicht. „Er will mir nicht glauben.“
Das machte mich für eine Sekunde sprachlos. „Was meinst du damit, dass er dir nicht glauben will?“
„Er sagt, er glaubt nicht, dass ich nicht zu ihm zurückkommen werde, wenn ich erst einmal von Jared die Nase voll habe.“
„Puh.“ Ehrlich gesagt, verstand ich nicht, was an Shelly so wunderbar und einzigartig war, dass Duane immer noch so an ihr hing, nachdem sie ihn betrogen hatte, aber ich war bereit, zuzugeben, dass meine Meinung von ihr nach der Gehässigkeit, die sie in letzter Zeit mir gegenüber an den Tag gelegt hatte, ein wenig einseitig war. „Ich nehme an, er wird es irgendwann kapieren.“
„Ich glaube auch. Aber das ist es nicht, worüber ich mit dir sprechen wollte.“ Shelly hielt die Mappe hoch. „Das hier sind die Angebote von anderen Firmen, die Jared bekommen hat. Eins von Rohrbach . Eins von Kindt and Spencer .“
Meine größten Konkurrenten, falls man sagen konnte, dass es so etwas gab. Ich hatte mit Steve Rohrbach, der die Firma von seinem Onkel übernommen hatte, die Fachschule für Bestatter besucht. Kindt hatte die früheren Spencer Brothers vor fünf Jahren aufgekauft, um seinen
Weitere Kostenlose Bücher