Callboys - Die Schönen der Nacht
ihn immer noch und immer wieder in Erinnerung gehabt hatte. „Ich weiß, ich hätte anrufen sollen. Aber ich habe befürchtet, du würdest meinen Anruf nicht entgegennehmen.“
„Oh … hm.“ Während er sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch fallen ließ, kaute ich auf meiner Unterlippe herum. „Natürlich hätte ich das getan.“
Sam lache. „Ah … aha.“
Ich musste für mindestens eine Minute wegschauen, bis das Schwindelgefühl endlich aufhörte. Als ich ihn wieder ansah, grinste er noch immer. „Gibt es einen Grund für deinen Besuch?“, erkundigte ich mich.
„Ich habe Hunger.“
Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und ließ meine Hände über das glatte, polierte Holz der Armlehnen gleiten. „Und?“
„Ich dachte, du bist vielleicht auch hungrig, immerhin ist es fast Zeit fürs Abendessen.“
„Ich esse nicht um fünf Uhr nachmittags zu Abend, Sam.“
Er lehnte sich ein kleines Stück nach vorn. „Wir könnten bis halb sechs warten.“
Ich schaute in Richtung der Wanduhr, während in meinem Kopf die Gedanken durcheinanderwirbelten, und ich versuchte, mich zu entscheiden, was ich sagen sollte. „Ich weiß nicht.“
„Was gibt es da zu wissen?“ Er lehnte sich zurück und kreuzte die Beine. „Du und ich und etwas zu essen. Keine große Sache. Du tust, als wäre ich auf die Knie gefallen und hätte dir einen Heiratsantrag gemacht.“
„Pfff.“ Ich wedelte mit der Hand. „Nein, tue ich gar nicht.“
Er zeigte mit dem Finger auf mich. „Tust du doch. Aber du kannst dich entspannen. Ich bin nur wegen des Essens gekommen.“
„Ich habe aber nichts zu essen hier“, protestierte ich, wenn auch mit schwacher Stimme.
„Grace?“ Wieder klopfte Shelly an die Tür. „Da ist etwas für dich geliefert worden.“
Sam sprang so hastig auf, dass Shelly erschrocken zurückfuhr. „Ich werde es herholen“, erklärte er.
Ich war ebenfalls schon auf den Beinen und folgte ihm. „Was hat das zu bedeuten?“
„Ich hoffe, du isst gern chinesisch“, sagte er über seine Schulter, während er an Shelly vorbeieilte und zur Hintertür neben ihrem Schreibtisch ging. „Hallo. Vielen Dank.“
Ich sah ihm zu, wie er die Tüten mit dem gelieferten Essen entgegennahm und den Boten bezahlte, und dabei ignorierte ich die Blicke, die Shelly mir zuwarf. Mit dem Essen in den Händen drehte Sam sich wieder um. Shelly stieß mich mit dem Ellenbogen an.
„Du kannst gehen“, teilte ich ihr mit. „Dann bis morgen.“
„Oh, aber brauchst du nicht …“
„Na los, mach, dass du rauskommst“, befahl ich ihr mit einem breiten Lächeln. „Es ist schon spät.“
Es war nicht spät, gerade mal ein paar Minuten nach fünf, aber Shelly nickte und holte ihre persönlichen Sachen von ihrem Schreibtisch. Sam hatte seine Nase tief in eine der Tüten gesteckt und schnüffelte laut, während er zufrieden seufzte.
„Bis morgen“, stieß Shelly mit weit aufgerissenen Augen hervor.
Weder Sam noch ich sahen sie an, als wir ihr im Chor Auf Wiedersehen sagten. Sie ging. Er blieb. Verwirrt trat ich von einem Fuß auf den anderen.
„Gehen wir nach oben in deine Wohnung?“ Sam deutete zur Decke. „Ein Tisch, Stühle, Teller?“
„Lädst du dich immer selbst zum Abendessen ein?“ Ich kreuzte die Arme vor der Brust.
Unverfroren und ohne jede Scham lächelte Sam mich an. „Klar. Na los. Du wirst mich nicht wegschicken, oder? Nicht mit einem großen Behälter voll General Tsos Hühnchen in meinen Händen.“
Mein Lieblingsessen. Mein Magen knurrte, und zwar so laut, dass er es sicher gehört hatte. Ich presste meine Hände gegen den Bauch. „Der Teufel soll dich holen, Sam. Der Teufel.“
Er wedelte den Duft von General Tso in meine Richtung. „Es flüstert deinen Namen, Grace. Kannst du es hören? Issss mich.“
„Solange es das Essen ist und nicht du, der das sagt.“
Sam erstarrte, dann legte er eine Hand auf sein Herz. Er runzelte die Stirn. „Du tust mir weh, Grace, indem du mir derart unlautere Motive unterstellst. Ich bin versucht, meine Essstäbchen zu nehmen und nach Hause zu gehen.“
Noch immer hatte ich meine Arme gekreuzt. „Haha. Das möchte ich sehen.“
Sam sah sich in der leeren Halle um und richtete den Blick dann wieder auf mich. „Aber dann würde mein Essen kalt werden. Außerdem ist es viel zu viel für mich allein. Du willst doch nicht, dass ich fett werde, oder?“
Ich musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er sah nicht aus, als hätte er jemals auch nur ein Pfund zu viel
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