Callgirl
Wege trennten sich, als sie zu ihrem Wagen wollte, und ich dachte erst wieder an unser Gespräch, als mir Peach an einem Januarabend vorjammerte, dass die Geschäfte so schlecht liefen.
Mehr um überhaupt etwas dazu zu sagen, fragte ich sie: »Hör mal, Peach, wer ist eigentlich Mario, und warum bekomme ich den nie zu sehen?«
Peach seufzte. Sie war dazu gezwungen, Mädchen gemeinsam loszuschicken, wenn sie einen gemeinsamen Fahrer brauchten oder der Kunde einen Dreier wünschte, aber der sich daraus ergebende Informationsaustausch gefiel ihr weniger. Peach war eine leidenschaftliche Anhängerin von zentralisierter Kontrolle. In der Sowjetunion hätte sie sicher eine große Karriere gemacht; wahrscheinlich hatte sie auch irgendwo einen Fünf-Jahres-Plan für die Agentur liegen. Sie informierte die anderen über das, was sie für richtig hielt, und wenn andere von allein etwas herausfanden,
reagierte sie gereizt. »Das ist ein Stammkunde«, antwortete sie. »Ich hab dich nie zu ihm geschickt, weil er junge Dinger will, Studentinnen, Mädchen, die wie 17 oder 18 aussehen.« Und vermutlich sollten sie sich außerdem in Teeniesprache unterhalten.
Das Thema Alter machte mir immer wieder Sorgen, wenn es sich auch in der Realität selten nachteilig auswirkte. Damals war ich 35, ging aber dank guter Gene und regelmäßigem Training leicht für zehn Jahre jünger durch. Aber mehr war nun wirklich nicht drin. Normalerweise schätzte man mich auf Mitte zwanzig und hielt mich eher für eine Studentin mit höherer Semesterzahl als für eine Frau, deren Platz hinter statt vor dem Rednerpult war.
Anscheinend waren Peachs Gedanken in eine ähnliche Richtung gewandert. »Weißt du, Jen, das ist eigentlich gar keine schlechte Idee«, überlegte sie laut. »Ich glaube, du würdest dem gefallen, jedenfalls wenn er über die Sache mit dem Alter hinwegkommt. Ich denk mal drüber nach. Du hast ein eigenes Auto, das ist ein Plus, denn er wohnt ganz weit draußen in Weston, da kommt die Bahn nicht hin, und mit dem Taxi kostet es ein Vermögen. Ich sehe mal, was sich machen lässt.«
Zwei Wochen später rief sie unerwartet an. »Arbeit«, sagte sie. Peach hielt nichts von Verschwendung, auch nicht bei Worten. »Du musst ihn allerdings noch überreden.«
»Ach, Peach«, stöhnte ich unglücklich. Sie wusste, dass ich dieses Verkaufsgelabere hasste.
»Nein, nein, alles in Ordnung. Mach dir keine Gedanken, sobald er deine Stimme hört, läuft die Sache. Lass ihn einfach spüren, wie sexy du bist. Es ist Mario in Weston. Wenn du ihn rumkriegst, dann bist du hin und weg, das garantiere ich dir.«
»Das ist doch der mit dem Jugendwahn.«
»Stimmt«, sagte sie knapp. »Ich hab ihm gesagt, du bist 25, aber sehr lieb und in Sachen Sex ein Naturtalent und noch neu im Geschäft. Ich hab gesagt, er soll die Dinge nicht so eng sehen
und mal was Neues ausprobieren. Er ist schon so gut wie überzeugt.«
»Toll«, sagte ich düster. Noch ein Kunde, den ich erst beschwatzen musste, damit er sich mit mir traf. »Gib mir seine Nummer.«
Er meldete sich beim zweiten Läuten. »Ja?«
»Hi, ist dort Mario?«
»Ja, und wer spricht?«
»Ich heiße Tia und bin eine Freundin von Peach.« Ich machte eine Pause, und er reagierte. »Ach, ja richtig. Trägst du Spitzenwäsche?«
Das war in Ordnung. »Ja, ich habe …«
Er unterbrach mich. »Okay, zieh was Hübsches an, was nicht zu billig aussieht, weißte, was ich meine? Nich diese Strapskacke, nur was Hübsches zum Ankucken. Welches Parfüm nimmst du?«
Das war alles ziemlich unüblich, und ich geriet etwas ins Schwimmen. Doch ich fing mich schnell. »Chanel No. 5«, erklärte ich. »Aber wenn du das nicht magst, habe ich auch …«
»Nee, nee, das ist gut«, fiel er mir ins Wort. »Peach sagt, du bist richtig intelligent, echt gebildet. Bescheißt sie mich? Sag die Wahrheit, ich nehm dir’s nicht übel, wenn sie mich verkohlt hat.«
Ich räusperte mich und dachte nach. »Nein, sie hat Recht. Ich habe ein Diplom in Psychologie von Harvard und einen Master in Sozialanthropologie von …«
Jetzt war ich schon an die ständigen Unterbrechungen gewöhnt. »Ja, okay. Sie hat gesagt, du hast ein Buch geschrieben.«
»Ich habe vier Bücher veröffentlicht und eine Reihe von Monografien«, holte ich aus. »Ich war auch Koautorin von …«
»Ja, ja. Okay. Willste herkommen?«
»Ja, wir haben sicher eine Menge zu …«
»Alles klar«, sagte er. »Auf der Zufahrt ist kein Platz; ich hab da Autos stehen.
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