Callgirl
was mir aber auch ganz recht war, weil mir nicht einfiel, wie ich gegenüber den zwei Colleges, an denen ich unterrichtete, einen ungeplanten Urlaub hätte rechtfertigen können. Aber mit Sicherheit verbrachte die Person, die am Ende mitkam, eine herrliche Zeit. Dafür wird Mario gesorgt haben.
Ich schreckte zusammen, als das Telefon klingelte. Es war Peach, die daran erinnerte, dass die Stunde um war. »Kannst du noch bleiben?«, fragte Mario. »Klar«, sagte ich. Es war einfach unglaublich, dass schon eine ganze Stunde vergangen war, das war mir noch nie passiert. Normalerweise konnte ich die Zeit kaum abwarten. Mario nahm den Hörer. »Ich übernehme noch zwei Stunden. Klar, okay, ich geb sie dir.«
Ich nahm wieder den Hörer. »Hi, Peach.«
»Jen? Ist alles in Ordnung, Schätzchen? Möchtest du wirklich dableiben?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Sicher, Peach. Er ist sehr nett. Wir amüsieren uns prächtig.«
»Okay. Dann bis bald.«
Mario nahm unser Gespräch wieder auf. Er wollte meine Meinung zu den unterschiedlichsten Themen wissen, von der Entstehung des Sonnensystems bis zu den Gründen, aus denen sich Leute scheiden lassen. Er stellte eine Frage nach der anderen. Er redete über Politik und Ethik und die Veränderungen in unserer Gesellschaft, so wie er sie wahrnahm. Das Ganze fand auf einer Ebene statt, zu der ich keine Beziehung hatte; es waren Ansichten, die sich im Laufe eines an Bildung armen Lebens ohne Zugang zu abstraktem Denken herausgebildet hatten. Aber ich war fasziniert.
Mario war trotzdem finanziell sehr erfolgreich gewesen, hatte aber irgendwann erkannt, dass er im Leben mehr wollte als das. Er hatte es mit der Kirche versucht; selbstverständlich hörte er jede Woche die Messe, aber er fand dort keine Antwort auf seine Fragen. Wir schnupften noch ein paar Linien. Schüchtern gestand er mir, wie hübsch er mich fand. Die ganze Zeit behielt ich mein Seidenhemdchen an.
Er ließ mich weitere zwei Stunden bleiben. Als ich schließlich ging, war es vier Uhr morgens, und ich hatte die Handtasche voller Scheine, dazu ein als Geschenk eingewickeltes Päckchen in der Hand und in der Manteltasche einen Extra-100-Dollar-Schein, den er mir noch im letzten Augenblick hineingestopft hatte, »damit du dir noch so ein hübsches Teil kaufen kannst wie das, was du heute Abend anhattest.«
In dem Geschenkkarton befanden sich zwei Parfümflaschen mit Chanel No. 5. Ganz große Klasse. Ich hatte eine faszinierende Nacht verbracht, einen unglaublichen Champagner genossen
(langsamer als Mario für richtig erachtete, aber schließlich musste ich noch Auto fahren) und über 1000 Dollar verdient. Ich war ein bisschen zugekokst, aber davon würde ich mich sicher erholen.
Zwei Tage später forderte Mario mich wieder an. Ein neues Hemdchen, dieselbe schwarze Strumpfhose. Pünktliche Ankunft, Führung ins Schlafzimmer. Derselbe Champagner. Doch diesmal mit einer Ansprache. »Anscheinend hat dir niemand was von mir erzählt, deshalb hattest du keine Ahnung, jedenfalls warst du’ne echte Zauberfrau. Weißt du, ich krieg ihn nämlich nicht mehr hoch und selbst wenn, kann ich nicht kommen. Egal, bei wem. Doch bei dir hat’s geklappt. Und deshalb bist du wirklich ein ganz besonderes Mädchen – ich meine – eine ganz besondere Frau.«
Er sah das bestimmt richtig. Es hatte geklappt, weil ich nichts davon gewusst hatte. Ich war einfach davon ausgegangen, dass ein Höhepunkt dazugehörte, und hatte mich deshalb zärtlich und mit Hingabe an die Arbeit gemacht und nie am Erfolg gezweifelt.
Dass ich nun Bescheid wusste, konnte sich womöglich als Handikap erweisen. Aber ich brauchte mir deswegen keine Gedanken zu machen, denn er fuhr fort: »Also, ich erwarte nicht, dass es jedes Mal klappt, denn von diesem Mal werd ich bestimmt noch lange zehren – es ist, als hätte mich jemand von einem bösen Fluch erlöst. Früher hab ich’s gehabt, dann war’s vorbei. Inzwischen bin ich alt genug, so eine Sache genießen zu können, ohne sofort immer mehr davon zu wollen. Vielleicht kannst du mich gelegentlich mal’n bisschen anfassen, das gefällt mir, aber mach dir nichts draus, wenn nix passiert. Der Grund ist die Sache, von der ich dir schon erzählt hab, damals als ich krank war, seitdem kann ich nicht mehr …«
Ich hatte nicht aufgepasst, als er mir von seiner Krankheit erzählt hatte (mit allerlei drastischen Details – wahrscheinlich der Grund, weshalb ich es ausgeblendet hatte), und so beschloss ich, mich
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