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Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Angell
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Lastwagen rauf nach Magnolia Harbor, wo keiner aufpasst, und dann laden sie alles auf Joeys Schiff, und dann läuft er aus, genau wie in den alten Zeiten, als er zu den Sandbänken rausfuhr. Er bleibt etwa genauso lange wie früher auf See, und wenn er wieder nach Haus kommt, säuft er sich die Hucke voll, bis er wieder rausmuss.« Er zögerte etwas, dann platzte es aus ihm heraus: »Herr Gott noch mal, es ist so was von ungerecht! Bloß weil er sein Zuhause liebt. Und niemand kann was dabei machen. Was wissen die da oben, diese Wichser, schon vom Fischen? Was wissen die von meinem Bruder?«
    Ich legte den Arm um ihn und zog ihn an mich. Was immer ich hätte sagen können, es wäre in diesem Moment unangebracht, bedeutungslos und beleidigend gewesen. So kniete ich mich neben ihn und wiegte ihn sanft in meinen Armen.
    Von da an besuchte ich Mario mindestens einmal in der Woche. Ich weiß, dass er auch andere Mädchen dahatte. Was Lori gesagt hatte stimmte wohl – er hatte fast jeden Abend eine Frau bei sich, außer natürlich samstags, wenn er zusammen mit seinen »Ganeffs« in der Stadt war.
    Ich hielt mich für so ziemlich den einzigen Menschen, der verstand, warum er ein so guter Kunde war. Ich war die Einzige, die von der großen Leere in seinem Inneren wusste, von der schmerzlichen Liebe zu seinem Bruder und der Unmöglichkeit, dessen Leben wieder in Ordnung zu bringen. Ich wusste von der unendlichen Traurigkeit, die er zu vergessen suchte, indem er sein Haus und sein Leben mit Frauen und Champagner, Glücksspiel und Drogen voll stopfte. Ich verstand ihn, aber ich spielte
niemals darauf an, und auch er erzählte mir nie wieder etwas von Joey.
    Interessanterweise war keine von uns eifersüchtig auf die anderen, die ihn auch besuchten. Mario hatte so viel zu bieten, dass es für alle reichte. Alle tranken seinen Champagner und schnupften sein Koks und hörten ihm zu, und im Großen und Ganzen hatten sie ihn gern.
    Aber ich blieb die Einzige, die er nach ihrer Meinung fragte.
    Eines Nachts wurde ich vom Telefon geweckt. Sobald der Anrufbeantworter ansprang, legte der Anrufer auf, und dann ging es von neuem los. Das machte mich wütend, denn in meiner Einzimmerwohnung war das Klingeln unglaublich laut.
    Schimpfend und fluchend wollte ich die Telefonschnur aus der Wand ziehen und nahm dabei aus Versehen den Hörer auf. Es war Peach. Normalerweise schloss sie ihre Agentur um zwei Uhr morgens (sie hatte ihre eigene Theorie, was die Verfassung und den Grad der Verzweiflung von Leuten anging, die nach zwei Uhr bei einem Escort-Service anrufen); mein Wecker, den ich durch zusammengekniffene Augen entzifferte, zeigte halb vier. »Alles in Ordnung, Peach?« Peach hatte mehrere dramatische Selbstmordversuche hinter sich, und ein Anruf um diese Uhrzeit ließ mich etwas in dieser Richtung vermuten.
    »Ja, alles okay. Wärest du möglicherweise bereit, bei Mario vorbeizufahren?«
    »Jetzt gleich?« Ich traute meinen Ohren nicht. Ich hatte nicht die geringste Lust, um diese Zeit nach Weston zu fahren.
    »Er will nur, dass jemand bei ihm ist. Bitte tu es, du hast auch was gut bei mir. Er ist einsam und deprimiert. Er braucht uns wirklich.«
    Mir fiel ein anderer Einwand ein. »Mein Auto – ich kann gar nicht hinfahren, meine Batterie ist seit gestern leer, das weißt du doch!«
    »Nimm ein Taxi. Auf seine Kosten natürlich. Bitte, Jen.«

    Ich machte es. Selbstverständlich. Der Taxifahrer, ein Haitianer, zeigte unverhohlen Interesse an mir, bis ich ihm sagte, ich wolle bei einem Aidskranken Wache halten, was seine Begeisterung augenblicklich dämpfte. Mit dieser Notlüge konnte ich die fast unvermeidliche Einladung zu einem Quickie (ein Highlight der meisten Taxifahrten in Boston) gleich im Keim ersticken.
    Mario war offensichtlich erfreut über mein Kommen und sagte das auch mehrmals. Wir zogen uns ins Schlafzimmer zurück, wo alles wie bei jedem anderen Besuch ablief: Wir unterhielten uns locker über verschiedene Themen, tauschten gelegentlich Küsse und Zärtlichkeiten aus, koksten und tranken Champagner. Um sieben fuhr ich wieder weg – Mario meinte, er müsse sich noch eine Weile aufs Ohr legen.
    Er sagte mir nie, warum er sich in jener Nacht so verzweifelt nach Gesellschaft gesehnt hatte. Und ich fragte nie.
    Das Leben ging seinen Gang. Gelegentlich forderte Mario auch zwei Mädchen gleichzeitig an, aber ansonsten blieb der Ablauf der Besuche stets unverändert. Es war ein angenehmes, lukratives und verlässliches

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