Callgirl
zu Mario.
Später, als ich schon lange nicht mehr im Geschäft war, hörte ich, dass Mario nicht mehr lebte. Ich erfuhr es zu spät, um noch irgendetwas zu tun – die Trauerfeier hatte schon vor langer Zeit stattgefunden, der Sarg war längst unter der Erde. Einige Monate
darauf kam ich zufällig nach Cape Ann und suchte dort nach dem Friedhof, auf dem Mario – laut Peach – begraben war. Als ich das Grab schließlich fand, war es nicht für einen, sondern für zwei. Mario und sein Bruder Joseph waren anscheinend am selben Tag gestorben.
Über Marios Tod wurde viel spekuliert. Es gab eine Menge Rätselraten. Ein Mädchen behauptete, er sei erschossen worden, es habe einen Mordauftrag gegeben, ein Mafiakonkurrent habe ihn aus dem Weg geräumt.
Ich erzählte niemandem, was ich wusste. Ich fragte mich, ob es ihm eines Tages nicht mehr gelungen war, weder durch Alkohol noch Drogen oder Frauen und nicht einmal durch Zoe die innere Leere zu bekämpfen. Vielleicht hatte ihn das dazu getrieben, die Konfrontation mit seinem Bruder zu suchen – möglicherweise auch mit dessen Auftraggebern … Meiner Meinung nach sprach einiges für diese Erklärung.
Ich konnte mit niemandem darüber sprechen, aber am Ende dachte ich, dass die Leere doch noch ausgefüllt worden war – mit einer Liebe, die auf alles verzichtet und alles zu geben bereit ist, sogar das eigene Leben.
Kapitel 15
Den Tag vor Weihnachten verbrachte ich damit, mich mit einem Kunden herumzustreiten.
»Ach, Puppe, nun hab dich doch nicht so«, wiederholte Freddie zum x-ten Mal. »Ich will ja nichts weiter als deine Telefonnummer. Ich werd dich schon nicht belästigen, ich will dir doch bloß morgen Frohe Weihnachten wünschen. Den kleinen Gefallen bist du mir schuldig.«
»Seit wann schulde ich dir was?«, wunderte ich mich. Peach hatte mich gebeten, Freddie anzurufen, um eine Verabredung für den Tag nach Weihnachten zu treffen. Die Agentur war Heiligabend und am Weihnachtstag selbst geschlossen, und sein Anruf war als letzter hereingekommen, bevor sie die Telefone abgestellt hatte. »Du brauchst nur eine Uhrzeit abzumachen, Jen«, hatte sie mir am Telefon gesagt. »Und dann legst du den Hörer auf und denkst zwei Tage lang nicht mehr an die Arbeit.«
Aber jetzt war der Mann dabei, Spielchen zu spielen, er wollte einfach nicht lockerlassen, nur um meine Privatnummer zu bekommen. Aber das konnte er sich abschminken. Er kannte nicht mal meinen richtigen Namen. Da würde ich ihm bestimmt nicht verraten, wie er mich zu Hause erreichen konnte.
Freddie versuchte es mit einer neuen Taktik. »Peach stört das nicht«, versicherte er mir, obwohl wir beide wussten, dass sie das sehr wohl stören würde. Schließlich lautet das erste Gebot: Du sollst keine Kunden klauen. »Es ist ja nur, weil ich nicht genau weiß, wann ich dich treffen will …«
»Dann rufe ich dich mittags gegen zwölf an, und du entscheidest dich dann«, konterte ich. Wenigstens konnte er meinen Anschluss nicht zurückverfolgen, denn ich hatte bereits in der zweiten Woche, die ich für Peach arbeitete, die Rufnummerübermittlung an meinem Telefon ausschalten lassen. »Die rufen dich sonst ungeniert zurück«, hatte sie mich gewarnt. »Das verschafft ihnen ein Gefühl von Macht.«
Freddie nervte mich über das übliche Maß hinaus. Ich war müde und wollte mich noch kurz hinlegen, bevor ich mich hübsch machte, um nach Dedham zu fahren, wo ich zum Weihnachtsessen mit Luis und seiner Familie eingeladen war.
»Ach, nee, Tia, ich weiß noch nicht, wo ich um die Zeit bin. Also, ich benutze die Nummer nur dieses eine Mal, und dann ruf ich dich auch nie wieder an. Ich werf sogar die Nummer weg.«
Na, wunderbar! Du wirfst sogar die Nummer weg, wirklich, der reinste Gentleman! Wenn ich auf den Spruch reinfalle, willst du mir als Nächstes bestimmt noch ein wunderschönes Sumpfgrundstück in Florida verkaufen. »Nein«, sagte ich ungehalten.
»Dann fick dich doch selbst!« Sein Wutausbruch kam so unvermittelt, dass ich sprachlos war. »Leck mich am Arsch, du Schlampe! Dich hab ich das letzte Mal um was gebeten!« Er knallte den Hörer auf. Ich wählte sofort die Nummer von Peach. »Was zum Teufel ist denn in den gefahren?«
»Ach, das hat nichts zu bedeuten, das ist bloß typisch Freddie«, sagte sie gelassen. »Der versucht andauernd, die Telefonnummern der Mädels herauszubekommen. Er wird’s wahrscheinlich noch mal versuchen. Nimm’s nicht so tragisch.«
»Aber was soll das? Er muss doch
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