Callgirl
zurückkehrte und jene schmerzliche Sehnsucht nach einem Partner spürte, die in absehbarer Zeit nicht auf Erfüllung hoffen konnte.
Es ist ein unsicheres Geheimnis, das schwer zu bewahren ist … und dessen Preisgabe mit schrecklichen Ängsten einhergeht.
Kapitel 20
Und dann war wieder Herbst.
Diesmal war meine Stimmung absolut im Einklang mit der Jahreszeit. Ich hatte den Herbst immer mit einem Gefühl begrüßt, das an Panik grenzte – ein neues Studienjahr bricht an, ich habe immer noch keinen vernünftigen Job etc. Auch wenn ich immer noch keinen vernünftigen Job hatte, war ich dem Ziel in diesem Jahr doch schon wesentlich näher gerückt. Ich wurde zu allen Fakultätsfeiern eingeladen. Namhafte Hochschullehrer, von denen ich tatsächlich schon mal gehört hatte, riefen mich an und schrieben mir Briefe. Der Dekan erinnerte sich daran, wer ich war, als er eines Nachmittags auf dem Korridor vor seinem Büro mit mir zusammenstieß.
Die Luft fühlte sich frischer und klarer an. Ich hatte einige neue Kleider erstanden, die sich weich und schick anfühlten, wie neue Kleider es zu tun pflegen. Ich hatte einen Plan, ich näherte mich meinen Zielen. Ich war bester Stimmung, voller Vorfreude. Zum ersten Mal seit Jahren glaubte ich, dass sich in diesem anbrechenden Studienjahr große Dinge ereignen, große Möglichkeiten auftun, große Verheißungen erfüllen würden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als ob jeden Augenblick etwas ganz Wundervolles passieren könnte …
Ich arbeitete jetzt einmal in der Woche für Peach, manchmal auch zweimal. Sie war nicht glücklich darüber, aber sie verhielt sich fair. Sie versuchte nie, irgendjemanden zu etwas zu zwingen, was er nicht wollte. Ich gab mir selbst das Versprechen, dass ich
in diesem Semester nur freitags und samstags für sie arbeiten würde.
Drei Wochen nach Semesterbeginn rief Peach an einem Freitagabend an. »Arbeit in Sicht«, verkündete sie forsch. »Der Kunde wohnt allerdings unten in Milton. Weißt du, wo das ist?«
»Das finde ich schon. Was hast du ihm über mich erzählt?« Die drei Pfund, die ich in England zugelegt hatte, hielten sich hartnäckig auf meinen Hüften (schuld war vermutlich die Clotted Cream). Diese ständige Sorge um das Aussehen war überhaupt mit Abstand das Nervigste an diesem Job.
»Oh, du kannst dich entspannen. Diese Sache wird dir Spaß machen. Er hat nach dem ältesten Pferd im Stall gefragt. Ich hab ihm gesagt, er könnte sich mit Tia treffen, sie sei 39. Er fragte, ob ich nicht eine Frau hätte, die noch älter wäre. Ich sagte, nein, leider, aber Tia würde ihm bestimmt gefallen.«
»Das klingt komisch, Peach«, in diese Richtung habe ich bezüglich meines Alters noch nie geschwindelt. In einem derartig auf Jugend fixierten und altersfeindlichen Job war es für mich mit meinen 36 Jahren ein Leichtes, immer »das älteste Pferd im Stall« zu sein. Vielleicht reichte das nicht. Vielleicht war er eine Art Runzeln-und-Falten-Fetischist.
»Nein, wirklich nicht, Jen. Er hatte eine positive Ausstrahlung. Ich habe ein Gespür für so was. Warum rufst du ihn nicht an und machst dir selbst ein Bild? Ich weiß, du magst keine neuen Kunden. Es ist deine Entscheidung. Aber ich bin wirklich überzeugt, dass kein Haken bei der Sache ist.«
Ich bemerkte beim Telefonieren nicht viel von irgendeiner Ausstrahlung, weder positiver noch negativer Art. Aber er schien sich auf mich zu freuen, also machte ich mich auf den Weg. »Was soll ich für dich anziehen?«, fragte ich aus Gewohnheit. Die Frage schien ihn zu überraschen. »Ach – was du willst. Was du sonst auch anziehst. Das ist in Ordnung.«
Während der Autofahrt legte ich eine CD von Bruce Springsteen
ein und drehte die Musik auf volle Lautstärke, bis die vibrierenden Lautsprecher kurz vorm Platzen standen. ›Mister, I ain’t a boy, no, I’m a man, and I believe in a promised land‹, sang ich aus vollem Halse mit Bruce im Chor und wünschte dabei, ich könnte sogar noch tiefer in seine Worte, in seinen Schmerz, in seine Geschichte eintauchen.
Es war lange her, seit ich an ein gelobtes Land geglaubt hatte.
Glenn empfing mich an seiner Wohnungstür. Er war riesengroß und sah aus wie ein Bär – zotteliges Haar, zotteliger Bart, kariertes Flanellhemd über einigermaßen sauberen Kaki-Hosen. Viele Tattoos. Ich meine wirklich viele . »Hi, ich bin Tia.«
»Hi, komm rein.«
Die Wohnung war die reinste Harley-Davidson-Ausstellung, voll gestopft mit – tja, wie nennt man das?
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