Callgirl
noch mein Dozentenoutfit an – Rock, Seidenbluse, Jacke, flache Schuhe. Bevor ich mich heute
Abend bei Peach zum Dienst meldete, wollte ich nur die Unterwäsche wechseln. So fühlte ich mich vor der ablehnenden Meinung der Gesellschaft sicher. Wenn ich nicht so aussah wie eine Nutte, dann war ich vielleicht auf irgendeiner Ebene immer noch eine anständige Frau.
Als ich später einige der anderen Frauen kennen lernte, die für Peach arbeiteten, war ich überrascht, dass niemand ihnen je angesehen hätte, dass sie für einen Escort-Service arbeiteten. Keine von ihnen sah aus wie ein Callgirl.
Was ist es, das einen aussehen lässt wie ein Flittchen? Mir war die Antwort auf diese Frage entglitten.
Peach rief mich gegen halb acht an. »Wie lange stehst du heute Abend zur Verfügung?«
Darüber hatte ich noch nicht wirklich nachgedacht. »Ich weiß nicht. Warum?« Es war nicht so, dass mein Terminkalender aus allen Nähten platzte. Seit sich die miese Ratte aus dem Staub gemacht hatte, verliefen meine Abende nach einem recht vorhersehbaren Muster.
»Ich hab vielleicht jemanden für dich. Er wird dir gefallen, aber er will dich erst um zehn Uhr treffen. Ist das in Ordnung?«
»Klar.« Bis dahin würde ich mich wohl beschäftigen können. Ich würde ein bisschen im Internet surfen. Aufgrund der Wendung, die meine Diskussion mit den Studenten am Nachmittag genommen hatte, wollte ich einige Dinge recherchieren, die ursprünglich nicht auf dem Lehrplan gestanden hatten.
Das war noch ganz am Anfang, als ich dachte, dass ich Prüfungsarbeiten korrigieren und zwischendurch einen Kunden besuchen könnte. Ich hatte noch nicht begriffen, dass dazwischen eine kleine Übergangsphase notwendig war.
»Super! Du brauchst ihn nicht anzurufen.« Ich zog die Augenbrauen hoch. Das war mal eine angenehme Überraschung. Keine
Verkaufsverhandlungen erforderlich. »Er wartet im Bella Donna an der Hanover Street im North End.«
»Peach«, sagte ich langsam. »Das ist ein Restaurant.«
»Oh, ich weiß. Er ist der Besitzer. Geh einfach an die Bar und sag, du möchtest Stefano sprechen. Sei um zehn Uhr da und ruf mich hinterher an.«
»In Ordnung.« Ich hatte dort tatsächlich schon einmal gegessen, mit einem Vorgänger der miesen Ratte. Das Restaurant vergaß man so schnell nicht wieder: Norditalienische Küche mit Soßen, die einen für immer von Ragout abschwören ließen. Der Koch konnte so traumhafte Pilzgerichte zaubern, dass sogar die Götter vor Neid erblassen würden. Zu seinem Repertoire gehörte zum Beispiel eine Suppe mit fünf verschiedenen Pilzsorten, von der ich mich ohne zu zögern bis ans Ende meiner Tage ernähren würde. Der Abend versprach interessant zu werden.
Aus meiner Sicht gab es nur ein Problem: das Parken. Ich konnte natürlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, aber das würde von Allston aus über eine Stunde dauern. Andererseits ist das North End berüchtigt für seine zu keiner Tagesund Nachtzeit vorhandenen Parkplätze. Also fuhr ich ganz früh los und kreuzte halbherzig durch die Gegend, bevor ich mich schließlich für einen unverschämt teuren Parkplatz entschied und zu Fuß den Hügel zur Hanover Street hinaufmarschierte.
Zum Bella Donna gehörte eine kleine Bar, in der hauptsächlich Lokalmatadore verkehrten, Männer im besseren Alter, Freunde und Kumpel des Besitzers. Ich ging zögernd hinein, ein nettes Mädchen, das sich in dieser unbekannten Umgebung ein wenig unsicher fühlt, bis der Barkeeper mit einem breiten Grinsen auf mich zukam. »Ich bin mit Stefano verabredet«, verkündete ich und fluchte innerlich, weil ich es versäumt hatte, mich bei Peach nach seinem Nachnamen zu erkundigen. Ich fand, das hätte etwas weniger peinlich geklungen.
Ich mochte um Diskretion bemüht sein, aber Stefano legte offenbar
keinen gesteigerten Wert darauf. Sobald ich nach ihm gefragt hatte, stießen die Männer an der Bar einander mit dem Ellenbogen an und nickten sich augenzwinkernd zu. Sie wussten alle, warum ich da war.
Der Kunde selbst, der aus dem hinteren Raum auftauchte, war nicht unattraktiv. Er hatte dunkle Haare, die Anfänge eines kleinen Bauchansatzes über dem Gürtel, weiße Zähne und stark behaarte Hände. Nun ja, man kann nicht alles haben.
Er küsste mir die Hand, was unter den gegebenen Umständen wirklich nett von ihm war, und bot mir einen Cocktail an. Wir tranken Wein und führten eine höfliche Unterhaltung über das Wetter, während seine Kumpel alle so gebannt an unseren
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