Callgirl
rief ich Peach an. »Schläft er jemals mit irgendeiner?«
»Ich glaube, das kann er nicht«, entgegnete sie munter. »Was hattest du zum Abendessen?«
Ich musste wider Willen kichern. »Kalbfleisch. Es war ein Gedicht.«
»Ich dachte mir, dass er dir gefällt. Willst du noch einen anderen Kunden heute Nacht?«
Es war halb zwölf, und am nächsten Morgen um elf war mein
Kurs »Über Tod und Sterben« an der Reihe. »Ich glaube nicht, Peach, aber morgen gerne wieder.«
»Okay, alles klar, Schätzchen. Schlaf gut.«
Das tat ich. Ich hatte so viel gegessen, dass es für zwei Tage vorhalten würde, ein Trinkgeld von 60 Dollar erhalten und mich nicht mal vollständig ausgezogen. Ich kuschelte mich unter meine Decke, während Scuzzy sich auf dem Kopfkissen neben mir zusammenrollte. Es ist ein Kinderspiel, dachte ich. Es ist wirklich überhaupt nichts dabei. Erstaunlich, dass es nicht mehr Frauen machen. Ich habe überhaupt keine Probleme damit.
Jeder kann sich mal irren.
Kapitel 5
Am Ende nahm ich mir nach diesem Abend doch einige Tage frei. Mit Stefano hatte es großen Spaß gemacht. Die meisten Männer, mit denen ich mich getroffen hatte, waren okay gewesen, aber das Erlebnis in Back Bay hatte mich mehr mitgenommen, als ich mir selbst eingestehen wollte.
Anstatt zu arbeiten, saß ich also in meiner Wohnung, schlürfte Rotwein und fragte mich, ob ich vielleicht doch einen Fehler gemacht hatte. Vielleicht war die Welt der Prostitution ja tatsächlich so furchtbar, wie sie in Filmen und Büchern dargestellt wurde? Vielleicht würde ich mich am Ende selbst verabscheuen? Möglicherweise musste ich am Ende mit mir darüber zu Rate gehen, ob die Stefanos die Barrys aufwogen.
Was ich wirklich brauchte, entschied ich, war etwas Abstand, um die Sache objektiver betrachten zu können. Ich brauchte eine Dosis »wirkliches Leben« (was immer das sein mag), um wieder das Gefühl zu bekommen, ich selbst zu sein.
Also verbrachte ich viel Zeit damit, meine Kurse zu verbessern, arrangierte zu Recherchezwecken einen Ausflug zu einem Bestattungsunternehmen und ging einigen Tipps bezüglich offener Ganztagsstellen für Lehrkräfte nach.
Außerdem nahm ich mir die Zeit, um vernachlässigte Sozialkontakte aufzufrischen. Ich hatte gedacht, ich käme ohne gesellschaftliches Leben aus. Ich hatte mich geirrt.
Der Kontakt zu Freunden war eingeschlafen, und ich hatte nichts dagegen unternommen. Das geschieht oft, wenn eine Beziehung
zerbricht: Die Leute, die dich nur als Teil eines Paares kennen, fühlen sich unbehaglich mit dir, sobald du Single bist, und ich hatte mich nicht aktiv um die Pflege der Freundschaften bemüht. Also versuchte ich jetzt, Versäumtes nachzuholen.
Ich verabredete mich zum Mittagessen mit meiner Freundin Irene, die ich seit dem Studium kannte. Wir trafen uns bei Jae’s an der Tremont Street und redeten bei Pad Thai und Sushi über unser Unvermögen, eine feste Anstellung zu finden. Außerdem gestanden wir uns gegenseitig ein, dass unser Liebesleben diesen Namen nicht mal ansatzweise verdiente. Beim Abschied nahmen wir uns vor, uns von nun an öfter zu treffen.
Mit meinem schwulen Freund Roger ging ich in die Silhouette Lounge in Allston. Wenn man seinen Erzählungen glauben durfte, wog seine geschäftige nächtliche Agenda das defizitäre Liebesleben von Irene und mir wieder auf. Wir tranken blaue Drinks, und er lieferte laufend Kommentare zu jedem Mann, der den Raum betrat. Auch wir versprachen uns beim Abschied, uns in Zukunft wieder öfter miteinander zu verabreden.
Ich lud sogar meine direkte Nachbarin zu einem indischen Essen (vom Imbiss) ein, und wir schauten uns zusammen eine Wiederholung von Das Fenster zum Hof im Fernsehen an, was Spaß machte. Aber wir erklärten einander nicht, dass wir uns von nun an öfter sehen wollten. Sie stand meistens sehr früh auf und fuhr mit der Bahn ins Finanzviertel, wo sie irgendwas mit Aktien machte. Meine Einladung erschien ihr offenbar als gute Gelegenheit, um zu erwähnen (was sie mehrmals tat), dass manchmal nach 22 Uhr laute Musik aus meiner Wohnung zu hören war.
Peach schien die Flaute zu spüren und wollte mir etwas Gutes tun. »Ich habe was ganz Besonderes für dich«, teilte sie mir am folgenden Mittwoch fröhlich mit.
»Was denn?« Auch wenn ich mir selbst gerade beweisen wollte, dass ich völlig normale soziale Kontakte hatte, konnte eine kleine Unterbrechung ja nicht schaden.
»Nicht was, Schätzchen. Wer.«
Er war ein Klient namens Jerry
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