Callgirl
schliefen wir dann doch noch miteinander, was ich ein bisschen irritierend fand, weil er immer noch meine Unterwäsche trug. Aus seiner Sicht verlief die Sache allerdings erfolgreich, so dass er schließlich widerstrebend in seine eigenen Sachen schlüpfte und mir meine zurückgab.
Ich habe sie nie wieder getragen. Das hatte nichts mit unangenehmen Assoziationen zu tun, sondern schlicht und ergreifend
mit der Tatsache, dass sie völlig ausgeleiert und nicht mehr zu gebrauchen waren.
Ich sah großzügig darüber hinweg, denn seit diesem Abend forderte Dave mich regelmäßig an. Irgendwann schaffte ich mir sogar eine spezielle »Dave-Ausrüstung« mit XXL-Reizwäsche an, und etwa ein Jahr lang lief es recht gut mit uns.
Ich dachte immer wieder über das Reisen als symbolischen Erklärungsrahmen für die Prostitution nach und fand die Vorstellung von Mal zu Mal reizvoller. Es funktionierte in beide Richtungen: Der Kunde findet Gefallen an etwas Exotischem, an einer luxuriösen und schönen Unternehmung, die sich grundlegend von allem unterscheidet, was sein Kollege in der angrenzenden Bürozelle am Abend tun wird. Wie der Armchair-Traveler, den Anne Tyler beschreibt, besucht er jedes Mal ein neues Land, wenn ein Callgirl an seine Tür kommt. Und auch die Frau reist, aber sie unternimmt eine Abenteuerreise mit ganz wenig Geld, sie weiß nicht, was sie erwartet und muss auf alles vorbereitet sein. Ich fand, der Vergleich eignete sich hervorragend für eine Kategorisierung.
An diesem und dem folgenden Wochenende kehrte ich in meiner freien Zeit zu der Lektüre zurück, die ich vor meinem Arbeitsantritt bei Peach aufgenommen hatte – zu der umfangreichen Literatur über Prostitution, Puffmütter und Bordelle. Diesmal widmete ich mich den eher wissenschaftlichen Behandlungen des Themas, Büchern mit Titeln wie The Response to Prostitution in the Progressive Era und Hell’s Half-Acre: The Life and Legend of Red-Light District .
Manchmal erschien mir die Kluft zwischen meinen beiden Tätigkeiten so groß, dass ich das Gefühl hatte, zwei Leben zu leben. Ich ertappte mich dabei, wie ich über den einen Job nachdachte, während ich den anderen ausführte. Und obwohl das ein inneres Schmunzeln auslöste, einen Moment geheimer Belustigung, fühlte ich mich doch auch in gewisser Weise gespalten. Wenn ich etwa
am Samstagmorgen mit ungekämmten Haaren, ohne Make-up oder Schmuck, in einer abgerissenen, fleckigen Jogginghose zum Postamt gerannt war, verspürte ich plötzlich den Drang, dem Mann, der vor mir in der Schlange stand, auf die Schulter zu tippen und zu sagen: »He, wissen Sie eigentlich, dass ich heute Abend 200 Dollar pro Stunde verdienen werde, weil die Männer sich um meine Gesellschaft reißen und gern so viel Geld dafür bezahlen?« Es war wirklich zum Lachen, wenn ich mir vorstellte, wie er mich ungläubig anstarren und mir kein Wort glauben würde, weil ich so überhaupt nicht nach einem attraktiven Callgirl aussah.
Bei anderer Gelegenheit saß ich vielleicht gerade mit zurückgelehntem Kopf und geschlossenen Augen bei einem Kunden, der an meinem BH herumtatschte, und überlegte mir, welche Hausaufgabe ich am nächsten Tag den Teilnehmern meines Anstalt-Kurses geben sollte. Du kannst die Zeit genauso gut für was Sinnvolles nutzen, sagte ich mir. Es war auf alle Fälle weniger langweilig, wenn man sich einfach vorstellte, woanders zu sein.
Schließlich entschied ich mich für zwei Dinge, die ich tun wollte, um die beiden Seiten meines Lebens irgendwie dichter zusammenzubringen.
Als Erstes reichte ich einen Themenvorschlag für das nächste Semester ein, und zwar für einen Kurs über die Geschichte und Soziologie der Prostitution. Bestimmt würden sich schon aus reiner Geilheit so viele Teilnehmer anmelden, dass ich die Mindeststudentenzahl zusammenbekommen würde. Und es wäre eine Möglichkeit, meine Tätigkeit als Callgirl mit der Person zu verbinden, die ich wirklich war. Na gut, das war die Rechtfertigung, die ich für mich selbst zurechtlegte. Aber das tun wir schließlich alle …
Außerdem traf ich die Entscheidung, mich einem Freund anzuvertrauen.
Kapitel 7
Ich war zu dem Schluss gekommen, dass ich mit jemandem über meine Tätigkeit reden musste.
Heute verstehe ich, warum Mörder den Drang verspüren, ihre Verbrechen zu gestehen – auf einer gewissen Ebene braucht jede menschliche Tat einen Zeugen. Wir existieren nicht in einem Vakuum und können uns selbst nicht losgelöst von unseren
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