Callgirl
immer, den Mann als Stammkunden zu gewinnen. Es sei denn, er ist der reinste Horror, aber das erkennst du in der Regel schon in den ersten fünf Minuten. Die meisten anderen sind jagbare Beute.
Zu einigen dieser Stammkunden entwickelte ich so etwas wie eine dauerhafte Beziehung, die sich nur insofern von anderen Beziehungen unterschied, weil am Ende des Abends eine finanzielle Transaktion stattfand. Ich habe nicht alle meine Stammkunden über Peach kennen gelernt – Peach sammelte lieber Kunden, die
nicht jede Woche dasselbe Callgirl wollten, weil sie an Stammkunden weniger verdiente. Mit einigen kam ich selbst in Kontakt, anderen wurde ich vorgestellt. Ich mochte meine Stammkunden. Ich habe sogar eine Art Freundschaft zu ihnen entwickelt, eine echte Zuneigung. Im Rahmen der Parameter unserer festgelegten Rollen handelte es sich tatsächlich um echte Beziehungen.
Da war zum Beispiel Phil, der gern vor seinen Freunden mit mir angab. Wir nippten zusammen Cocktails in angesagten Restaurants an der Columbus Avenue und plauderten mit seinen zahlreichen Bekannten, die wir dort »zufällig« trafen, bevor wir schließlich allein zu ihm nach Hause gingen.
Robert begleitete ich auf »Weinpartys« bei Cornucopia-on-the-Wharf, wo man mehrgängige Menüs rund um die Weinproben aus einem bestimmten Land oder Anbaugebiet organisierte. Wir saßen an großen runden Tischen und hörten zu, wie die Händler über die Weine diskutierten, während wir uns die Bäuche voll schlugen und Wein süffelten. Robert beobachtete währenddessen, wie die anderen Männer meine Brüste begafften. Er mochte es, wenn ich weit ausgeschnittene Kleider und auffällige Halsketten trug. Für gewöhnlich kam ich seiner Bitte nach und gönnte ihm die kleine Freude.
Für Raoul – der mir mit Abstand der liebste Klient war – zog ich immer ein kleines schwarzes Nichts von einem Cocktailkleid an und begleitete ihn ins Symphonieorchester, in Konzerte der Händel- und Hayden-Gesellschaft und gelegentlich auch in die Oper. Zuerst trafen wir uns in der Nähe der Musikhalle zum Dinner, speisten in wunderbaren Restaurants wie Tables of Content oder Tiger Lily. Die Beziehung zu Raoul empfand ich auf merkwürdige Weise wie eine feste Freundschaft: Der Sex wirkte immer ein bisschen wie ein nachträglicher Einfall – 15 Minuten, die an das Ende des Abends angehängt wurden, weil wir uns beide dazu verpflichtet fühlten. Oft fragte er mich, ob ich ihm sehr böse wäre, wenn wir den Schlussteil des Abends ausfallen ließen; er
war in den Sechzigern und manchmal einfach zu müde. Es ist mir immer gelungen, seiner Bitte mit einem Ausdruck des Bedauerns zu entsprechen.
Doch sogar meine Stammkunden bei Peach (Kunden, die regelmäßig nach mir verlangten, sich aber auch mit anderen Frauen trafen, wenn ich keine Zeit hatte) waren wichtig für mein seelisches Gleichgewicht. Und die Drohung, meine Stammkunden zu einer anderen Mitarbeiterin zu schicken, war völlig ernst gemeint. Doch am Ende unterschied sich eine geplante Abwesenheit nicht wesentlich von anderen Abenden, an denen ich nicht für Peach arbeitete. Sie bemühte sich um Fairness, aber Geschäft ist Geschäft – und bevor Peach finanzielle Einbußen in Kauf nahm, schickte sie jeden Stammkunden zu einem neuen Callgirl.
Trotz ihrer Vorbehalte unterrichtete ich also meinen Abendkurs.
Verstehen Sie mich nicht falsch – ich mochte auch meine beiden Tageskurse sehr gern. Aber dieser Abendkurs war, nun ja, er war das reinste Vergnügen. Eigenwillig. Lebendig. Interessant. Es bestand ausschließlich aus Frauen, die alle über eine ordentliche Portion Unternehmungsgeist und Abenteuerlust verfügten und ganz allein nach Thailand oder Argentinien oder in die Ukraine reisen wollten. Rucksacktouristinnen, Fotografinnen, Autorinnen, Abenteurerinnen. Wir haben viel gelacht, und ein Bonmot gab das andere. Die Tatsache, dass wir alle Frauen, Singles und von dem Wunsch erfüllt waren, die Welt zu sehen, schien ein spontanes Solidaritätsgefühl zu erzeugen.
Einmal diskutierten wir über moslemische Länder und über Kompromisse. Eine der jüngeren Kursteilnehmerinnen, die lange Zeit unerschütterlich in der vordersten Reihe gesessen hatte, bis ich sie endlich davon überzeugen konnte, dass ich tatsächlich eine kreisförmige Anordnung der Stühle bevorzugte, hatte sich selbst die Rolle der zornigen jungen Revolutionärin zugeteilt. Sie trug T-Shirts mit Aufdrucken wie »Eine Frau ohne Mann ist wie
ein Fisch ohne Fahrrad«
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