Callgirl
stieg ich in mein Auto. »Ich hätte heute Abend ein Rendezvous haben können«, teilte ich meinem Konterfei im Rückspiegel mit. »Ich hätte heute Abend ein echtes Rendezvous haben können«, wiederholte ich triumphierend.
Wer hätte gedacht, dass ein Callgirl, das 200 Dollar die Stunde verdient, so wenig Selbstvertrauen besitzt? Überraschung!
Das Hochgefühl dauerte natürlich nicht an. Und vielleicht war es tatsächlich ein Geschenk, das ich erhalten hatte – ein Moment der Hoffnung, des Glücks und der Unschuld.
Denn am selben Abend erhielt ich eine bittere Lektion über die traurigen Seiten meines Jobs.
Es passierte nichts, was ich in meinen Notizen festhalten und für den neuen Kursus nutzen konnte. Die Erfahrung dieser Nacht konnte ich nur in meinem Herzen festhalten. Aber dort blieb sie für immer, vertrieb die Unschuld und hinterließ nur ein Gefühl unheilbarer und grenzenloser Traurigkeit.
Der Kunde, zu dem Peach mich schickte, lebte allein in einer herrlichen Wohnung in Chestnut Hill. Gegenden wie Chestnut Hill findet man in den unterschiedlichsten Städten, überall in den USA, und sie alle haben eines gemeinsam: Geld. Diese Wohnung war voll mit schön angestrahlten Kunstgegenständen, mit jahrhundertealten Möbeln und mit Gemälden, deren Herkunft ich erkannte. Vielleicht eher unbedeutende Werke, aber dafür von Künstlern, die alles andere als unbedeutend waren.
Der Kunde war ein schlanker Mann, dessen Haut so fahl war, dass sie stellenweise fast durchsichtig wirkte. Er hatte ein freundliches, trauriges Lächeln und sprach nicht viel. Im Hintergrund erklang Dvoraks Sinfonie »Aus der Neuen Welt«. Mein bleicher Klient servierte mir einen Sherry, und wir gingen ins Schlafzimmer.
Dort bat er mich, alles auszuziehen bis auf meine Unterwäsche, die in dieser wie in vielen anderen Nächten aus einem hauchdünnen Mieder über BH und Höschen bestand. »Hast du dein Schminktäschchen dabei?«, fragte er, immer noch mit diesem freundlich-melancholischen Blick. »Ich möchte einfach nur zuschauen, wie du dich schminkst.«
»Ich soll mich bloß schminken?«, fragte ich ein bisschen verblüfft.
»Ja, und mit mir reden.« Ach so. Alles klar, das ergab Sinn, ich sollte Obszönitäten von mir geben, während er mir bei irgendwas zuschaute. Das war nichts Neues. Am letzten Dienstag hatte ich einem Kunden schmutzige Geschichten erzählt und mich dabei selbst angefasst. Langweilig, aber ihm hatte es gefallen.
Ich machte es mir auf dem Bett bequem und holte die erforderlichen Gerätschaften heraus: Wimperntusche, Eyeliner, Lidschatten, Rouge. »Worüber möchtest du denn gern reden?«, fragte ich so anzüglich, wie ich konnte, während er sich in einem Louis-quinze-Stuhl am Fußende des Bettes niederließ.
»Erzähl mir, dass du dich fein machst, um mit Daddy auszugehen«, sagte er, und in seiner Stimme klang etwas mit, das wie ein Echo aus weiter Ferne zu kommen schien. »Erzähl mir, dass der Babysitter bald kommt, erzähl mir, in welches Restaurant Daddy dich ausführt.«
Ich erstarrte einen Moment. Ich hätte ehrlich und wahrhaftig am liebsten geweint. Ich habe natürlich getan, was er verlangte. Was hätte ich sonst tun sollen? Ich plapperte vor mich hin und betrachtete mich selbst im Spiegel meiner Puderdose. So musste ich ihm nicht beim Masturbieren zuschauen, während ich so tat, als wäre ich seine Mutter. »Wir rufen noch mal an, wenn wir da sind, um zu hören, ob hier alles in Ordnung ist. Und ich gebe dir noch einen dicken Extrakuss, bevor wir gehen …« Ich konnte die Tränen nur mit Mühe zurückhalten.
Später bezahlte er mich mehr als großzügig und gab mir ein
zusätzliches Trinkgeld von 70 Dollar. Die meisten Frauen wären begeistert gewesen, hätten es als leicht verdientes Geld betrachtet und hinterher über die Sache gelacht. Ich fuhr zurück nach Allston, fühlte mich innerlich leer und fragte mich, welche Erlebnisse in seiner Kindheit wohl zu dieser verkorksten Sexualität geführt haben mochten. Und warum er beschlossen hatte, seinen offensichtlichen Schmerz mit einem Callgirl und nicht in der Praxis eines Therapeuten zu durchleben …
Einige Kunden, mit denen ich mich traf, hatten Spaß an solchen harmlosen Rollenspielen, wie man sie in Herrenmagazinen findet und in Pornofilmen sieht: »Tu so, als ob ich der Arzt wäre und du die Krankenschwester, die für mich arbeitet …« Oder: »Tu so, als ob ich der Lehrer wäre und du die Schülerin, die eine bessere Zensur haben
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