Callgirl
gewusst.
Ich nutzte meinen Vorteil. »Deshalb ist er so stinkig. Ich habe versehentlich seinen Koksvorrat durcheinander gewirbelt.« Na ja, mehr oder weniger versehentlich. Aber Peach musste ja nicht alles wissen. Und sein enger Terminplan ließ ihm leider keine Zeit, sich neuen Stoff zu besorgen. »Weißt du, was passiert, wenn er von der Polizei erwischt wird? Mit uns in seinem Wagen?«
Wogegen ich eigentlich wettern wollte, war der Fließbandansatz beim Callgirltransport, aber ich wusste, dass ich mit der Kokssache eine wunde Stelle bei Peach traf. Sie war stolz auf ihren guten Ruf und ihre weiße Weste. Seit sie im Gewerbe war, war keines ihrer Mädchen je ernsthaft verletzt und keines war je verhaftet worden. Letzteres konnte sich durch diese Geschichte leicht ändern. Ich nutzte meinen Vorteil noch etwas weiter aus. »Der Typ ist eine tickende Zeitbombe, Peach. Er kokst nicht nur, er kokst in der Öffentlichkeit. Er kokst, während er deine Mädchen durch die Gegend fährt. Er ist eine Katastrophe, die darauf wartet, sich zu ereignen.«
Sie glaubte mir. Das gehörte zu den guten Seiten an Peach: Wenn sie einmal beschlossen hatte, jemandem zu vertrauen, vertraute sie ihm voll und ganz. Peach kannte mich nach einigen Wochen besser als manch andere Leute, die mich seit Jahren kannten …
Sie wusste, dass ich sie in einer solchen Sache nicht belügen würde. »Ich melde mich wieder«, erklärte sie in ihrer distanzierten Stimme, die sie benutzte, wenn sie angestrengt über etwas nachdachte.
»Aber nicht heute Nacht«, schnappte ich. »Ich melde mich ab. Ich werde ein ausgiebiges Schaumbad nehmen und literweise Wasser trinken. Denn weißt du was, Peach, es gibt keine Taxis in Chelsea. Und der Bus fährt einmal pro Stunde. Es war wirklich eine ganz tolle Erfahrung. Gute Nacht.«
»Warte …«, aber ich hatte schon aufgelegt. Das hob meine Laune. Es gelang mir nicht oft, schneller zu sein als Peach: Normalerweise war sie diejenige, die zuerst auflegte.
Am nächsten Tag bekam ich meinen Civic zurück und hätte vor Freude beinahe seine neuen Reifen geküsst. Seit damals habe ich erkannt, dass Ben vergleichsweise harmlos war.
Einige Agenturen verlangen von den Callgirls, dass sie die Dienste von Fahrern in Anspruch nehmen. Es ist ein Mittel, um die Frauen zu kontrollieren: Sie werden gleich zu Anfang mit Arbeit überlastet, müssen zum Beispiel fünf Kunden pro Nacht besuchen und wenn die Frau dann im Stehen einschläft, bietet der Fahrer ihr ein oder zwei Linien Koks an. Nur ein kleiner Muntermacher auf Kosten des Hauses, einfach weil er sie so nett findet und ihr helfen möchte.
Aber beim nächsten Mal ist der Muntermacher dann nicht mehr umsonst, und die Frau muss mindestens sechs Kunden aufsuchen, und der Fahrer hat zufällig immer etwas Stoff dabei. (Peach versucht, wenn möglich Fahrer innen zu besorgen, aber bei diesen anderen Agenturen ist es stets ein Mann). Über kurz oder lang können die Frauen nur noch arbeiten, wenn sie vorher ein paar Linien reingezogen haben, und ihr ganzes Geld fließt in die Tasche des Fahrers.
Angesichts dieser Alternative war Ben vermutlich noch nicht das Schlimmste, was einem passieren konnte.
Kokain war damals absolut in. Ecstasy wartete noch auf sein Come-back in die Discos, Heroin galt nicht mehr als schick, und dank einer signifikanten südamerikanischen Population in Boston, die gute Verbindungen nach Hause hatte, war Kokain gerade total en vogue.
Es war unmöglich, nicht damit in Berührung zu kommen, wenn man nachts irgendwo unterwegs war. Taxifahrer machten ihren Fahrgästen diskrete Angebote durch die Blume. In allen Diskotheken wurde auf den Damenklos mit Koks gehandelt, und
die Mädels warteten nicht auf ein freies Klo, sondern auf einen freien Platz an der Resopalplatte.
Die meisten unserer Kunden nahmen Drogen. Ich auch, aber aus völlig anderen Gründen. Ich tat es, weil Red Bull und Espresso als Aufputschmittel nicht mehr ausreichten.
In meinem brillanten Masterplan hatte ich nicht bedacht, wie weit ich die Kerze bereits an beiden Enden angebrannt hatte.
»Über Tod und Sterben« war glücklicherweise für den späten Nachmittag angesetzt. Die meisten Krankenschwestern, die daran teilnahmen, hatten um halb vier Schichtende. Deshalb fing der Kurs um 16 Uhr an. Beim »Anstaltsleben« hatte ich leider nicht so viel Glück. Da ich zu den jüngsten Mitgliedern des Lehrkörpers gehörte, hatte man mir die gefürchteten Acht-Uhr-Termine am Montag, Mittwoch
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