Callgirl
kennen gelernt.
Ohnehin trifft man in diesem Job natürlich jede Menge neue und die allerunterschiedlichsten Leute. Das gilt für jeden Beruf, aber Prostitution scheint die Extreme anzulocken.
Sophie begegnete ich zum ersten Mal, als ich im Auftrag von Peach einen Kunden besuchte. Als ich bei ihm eintraf, war Sophie, die damals selbstständig arbeitete, bereits da. Er hatte sie direkt kontaktiert und dann die Agentur angerufen, weil ihm der Sinn nach einem flotten Dreier stand.
Es entpuppte sich als einer der besten Calls meiner Laufbahn. Sophie und ich harmonierten sofort miteinander. Sie war eine zauberhafte Chinesin mit seidigem schwarzem Haar und einem göttlichen Körper. Wir versetzten den Kunden in Staunen, amüsierten uns prächtig, lachten und alberten herum und standen schließlich um elf Uhr mit einem ordentlichen Batzen Geld auf dem Hotelflur.
»Komm noch mit zu mir auf einen Drink«, schlug sie vor. »Wir nehmen uns einfach den Rest der Nacht frei.«
Das klang gut. Wir hatten zusammen mit dem Kunden drei Flaschen Mouton-Cadet geleert, und abgesehen von allem anderen hatte ich wenig Lust, weiter zu fahren als unbedingt notwendig. Wir befanden uns in Framingham, und Sophie wohnte in Natick, was praktisch um die Ecke lag.
Außerdem mochte ich diese Frau. Bei unserer Zusammenarbeit
im Bett hatte sie Blaise Pascal zitiert. Sie sprach Englisch, Mandarin, Kantonesisch, Französisch und sogar Vietnamesisch. Die meisten ihrer spontanen und unaffektierten Sätze klangen so schön, als stammten sie aus einem Lied oder einem Gedicht.
Ich rief bei Peach an, meldete mich ab und fuhr mit zu Sophie.
Ihre schrullige Wohnung war voll gestopft mit großen Pappmaschee-Tieren. Über dem Sessel, in den ich mich setzte, ragte eine Giraffe in die Höhe, und vor dem großen Erkerfenster lagerte ein Tiger. Von der Decke hingen Vögel in den wildesten Farben, der Eingang zur Küche wurde von einem Zebra bewacht, und im Badezimmer thronte ein unidentifizierbares Beuteltier. Sie waren überall und hoben sich mit ihren hellen Farben von den schweren dunklen Kirschholzmöbeln ab, die den restlichen Platz einnahmen.
Sophie reichte mir eine Flasche Sam Adams und ging ans Telefon. Innerhalb von 20 Minuten hatten wir Besuch: drei sehr junge, sehr attraktive Freunde von Sophie. Keiner war asiatischer Herkunft, aber darüber machte ich mir keine Gedanken. Damals noch nicht.
Als Gastgeschenk brachten die drei Freunde einen schier unerschöpflichen Vorrat an Kokain mit.
Wir saßen und tranken und reichten eine CD-Hülle herum, um Linien einzustreichen. Sophie verschwand in regelmäßigen Abständen, und als ich einmal aufs Klo wollte, bog ich falsch ab und fand sie in der Küche, wo sie das Kokain aufkochte, um es in rauchbares Freebase umzuwandeln. »Das stört dich doch nicht, oder?«, fragte sie. Ich zuckte die Achseln. Es war ihre Wohnung, ich war ziemlich zugedröhnt und extrem angetan von einem der Gäste. Meinetwegen hätte sie sich das Zeug auch in die Venen schießen können. In dem Moment war mir das egal.
Aber zuletzt war es mir nicht mehr egal. Sophie und ich wurden Freundinnen. Und durch unsere Freundschaft lernte ich auf die harte Tour, was jeder, der einen Süchtigen kennt, irgendwann
schmerzhaft erfahren muss: Sophie hatte nur eine einzige, echte, wichtige Beziehung, die alle anderen ausschloss, nämlich die zu ihrer Droge. Menschen waren zweitrangig, waren bloßes Hilfspersonal. Sie konnte andere Menschen sympathisch finden, einige sogar lieben, aber sie brauchte sie nicht so, wie sie das Kokain brauchte. Sie hätte jeden betrogen und alles getan, um an das Koks zu kommen. Am Ende war es alles, was sie wollte, brauchte oder interessierte.
Natürlich wusste ich all das anfangs nicht. Ich nahm gelegentlich Drogen und konnte trotzdem ein normales Leben führen. Naiv wie ich war, meinte ich, bei ihr sei das genauso. Ich dachte, den meisten Menschen ergehe es wie mir, und außerdem passten die Vorstellungen, die man sich von Süchtigen macht, nicht auf Sophie.
Ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Das Suchtungeheuer macht keine Unterschiede, und warum sollte es sich mit den Armen, den Ungebildeten und den Verzweifelten begnügen? Warum sollte es sich zur Abwechslung nicht auch mal eine lebensprühende, faszinierende junge Frau mit großem Potenzial greifen?
Ich habe mir große Mühe gegeben, sie zu retten, und bin im Laufe dieses Prozesses immer wieder zutiefst
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