Callgirl
und Freitag zugeteilt. Ich fand, das grenzte an Folter. Frühes Aufstehen war mir schon immer ein Gräuel gewesen, und mein derzeitiger Nebenerwerb verstärkte diese Aversion spürbar.
Stellen Sie sich vor, Sie kommen um zwei Uhr morgens nach Hause und sind noch immer aufgekratzt von der Arbeit. Kein Mensch geht nach der Arbeit schnurstracks ins Bett, oder? Man muss erst einmal einen Gang runterschalten, sich ein bisschen entspannen. Also trinkt man ein Glas Wein oder einen Kräutertee, nimmt vielleicht ein Bad, liest ein bisschen oder sieht Fernsehen. Ich habe meistens in einem Krimi geschmökert: Es geht nichts über eine nächtliche Lektüre von Michael Connelly, Cathy Reichs oder Tony Hillerman. Irgendwann schläft man schließlich ein, und wenn man gerade beim besten Teil des Traumes ankommt, schrillt der Wecker. Es ist halb sieben in der Frühe, und in eineinhalb Stunden sollst du gescheit, unterhaltsam und – vor allem – wach sein. Du döst noch ein bisschen (»Nur noch fünf Minuten«), und auf einmal hast du keine Zeit mehr, um noch lange mit der Espresso-Maschine in der Küche herumzuhantieren.
Auf der anderen Seite sieht es auch nicht besser aus. Du beschließt,
dass du heute Abend nur einen einzigen Kunden treffen wirst, ganz früh, und danach nichts wie ab ins Bett, weil du in der Nacht davor nur vier Stunden geschlafen hast. Also machst du einen Termin um acht Uhr abends, eine absolut zivile Zeit, doch der Kunde findet Gefallen an dir und verlängert … und verlängert … und verlängert. Gegen elf fallen dir absolut keine geistreichen oder anzüglichen Bemerkungen mehr ein, auch dein Vorrat an sexuellen Spielchen und anderen Tricks und Berufsgeheimnissen geht allmählich zur Neige – kurz, du bist einfach erschöpft. Aber du möchtest, dass der Kunde sich wieder meldet, speziell nach dir verlangt, also musst du die Lebensgeister, die vor etwa einer Stunde aufgestanden und gegangen sind, irgendwie zurückholen.
Die kurzfristige Lösung für beide Probleme lag auf der Hand: Du schnupfst morgens ein bisschen Koks (»Frühstück für Champions«, wie eines der Mädels bei Peach zu sagen pflegte); so bekommst du wenigstens einen klaren Kopf und bist in der Lage, ordentlich zu funktionieren. Abends machst du dann einen kleinen Abstecher ins Badezimmer des Klienten, um dir eine zweite Linie reinzuziehen. Auf diese Weise überwindest du tatsächlich den toten Punkt und verlässt den Kunden schließlich mit ordentlich Kohle in der Tasche und mit der Gewissheit, dass er wieder nach dir verlangen wird.
Einfach und nahe liegend.
Wenn auch nicht besonders gesund.
Sogar ohne skrupellose Fahrer, die den Frauen das Kokain aufzwingen, ist leicht zu erkennen, warum so viele Callgirls letztendlich in Schwierigkeiten geraten. In diesem Gewerbe kommt man ständig mit Alkohol und Drogen in Berührung. Wenn man auch nur ein bisschen anfällig ist, gerät man leicht in die Fänge des Suchtungeheuers und kommt so schnell nicht wieder heraus.
Wir waren durchaus nicht die Einzigen. Ein paar Jahre lang hatte man den Eindruck, dass die ganze Stadt kokste. Das war,
bevor so viele Kokser Suburbizid begingen – heirateten, Kinder bekamen, sich einen SUV kauften, ihr ganzes Geld für Fußballcamps oder den neuen Anbau am Haus ausgaben und sich kein Kokain mehr leisten konnten. Es war schon verrückt, weil genau diese Leute am Ende ständig so erschöpft aussahen, als könnten sie ein bisschen Koks gut gebrauchen.
Ich hatte Glück. Das ist alles: Es hat nichts mit einer besonderen Fähigkeit oder inneren Einstellung zu tun, dass ich die Jahre in der Escort-Agentur überlebt habe, ohne ernsthafte Probleme mit Drogen oder Alkohol zu bekommen. Ich habe, wie es scheint, einfach kein Suchtpotenzial in meiner Persönlichkeit. Ich habe viel zu viel Kokain geschnupft und viel zu viel Alkohol getrunken und bin aus reinem Dusel nicht in der Höhle des Suchtungeheuers gelandet.
Wenn ich andererseits die entsprechende Suchtpersönlichkeit gehabt hätte und abhängig geworden wäre … nun, wenn ich zu den Glücklicheren gehört hätte, würde ich diese Zeilen wohl in einer Rehaklinik schreiben. Wenn nicht, hätte ich das Unterrichten, hätte ich alles aufgegeben. Vermutlich würde ich in einem Crackhaus leben und Blowjobs für ein bisschen Crack anbieten. Ich kenne Frauen, denen es so ergangen ist.
Ich bin davongekommen. Ich hatte Glück. Viele andere nicht.
Kapitel 10
Ich habe in meiner Zeit als Callgirl sehr viele Süchtige
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