Callgirl
werden darüber sprechen, welche Ursachen die Prostitution hat, weshalb sie gebraucht wird und weshalb man sie verunglimpft.«
Einer der Studenten kicherte leise. Ich bewegte mich langsam durch den Raum, bis ich direkt hinter ihm stand, dort blieb ich stehen und sprach weiter. Ein paar Tricks zur Herstellung von Disziplin waren mir geläufig. »Wir werden uns mit der Stellung und Bedeutung der Prostitution in der Gesellschaft beschäftigen, mit den Bemühungen um eine Legalisierung und Regulierung ebenso wie mit den entgegengesetzten Bewegungen, die auf eine Abschaffung der Prostitution zielen. Wir wollen den Gegensatz zwischen Prostitution als Beruf und Prostitution als Form der Sklaverei untersuchen. Wir wollen unbequeme Fragen stellen und versuchen, ein klares und unvoreingenommenes Bild von der Prostitution zu gewinnen. Ich möchte, dass am Ende dieses Semesters jeder hier im Raum eine klare Meinung zu diesem Thema hat, die auf einer sachlichen, wissenschaftlichen Analyse von Fakten beruht und nicht auf Hörensagen oder Ihrer eigenen ausschweifenden Fantasie.« Die letzten Worte hatte ich mit viel sagender Betonung und einem ironischen Schmunzeln vorgetragen, woraufhin ein leises, nervöses Lachen durch den Raum ging.
Hinterher war ich in Hochstimmung. Der Kurs steckte voller positiver Energien. Mehrere Studenten waren nach dem Unterricht dageblieben, um Fragen zu stellen oder Kommentare abzugeben, was ein gutes Zeichen war. Sie stellten sogar schon richtig gute Fragen, jedenfalls einige von ihnen, und zeigten Interesse, Engagement und eine gewisse Aufgeschlossenheit.
Dieses Gefühl der Hochstimmung, dieser Schwung, diese Freude – das ist der Grund, aus dem ich unterrichte. Nicht weil ich mich brennend für mein Fachgebiet interessiere (schließlich unterrichtete ich als freie Dozentin häufig Kurse, die mein Fachgebiet nur am Rande streiften), sondern wegen der Verbundenheit, die entsteht, wenn alles gut läuft. Mir macht das Unterrichten Spaß, wenn mir Interesse und Begeisterung aus den Gesichtern der Studenten entgegenstrahlen und wenn es mir gelingt, den Stoff so spannend zu präsentieren, dass ich ihre Abwehr durchbreche.
Viele Leute meinen, das eigene Fachgebiet sei das Allerwichtigste und überhaupt die Raison d’être für jeden aufstrebenden Dozenten, aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich jeden Stoff, den ich begreife, auch unterrichten kann – und zwar gut unterrichten kann. Das Fachgebiet spielt nur eine untergeordnete Rolle – meine Leidenschaft gilt dem Unterrichten als solchem. In gewisser Weise ist das Fachgebiet einfach Mittel zum Zweck.
Was nicht heißen soll, dass es nicht Themen gäbe, die ich bevorzugt unterrichte. Ich bin nicht sicher, ob ich mich für einen Kurs über Software-Anwendung genauso begeistern könnte wie für Themen, mit denen ich mich jahrelang intensiv beschäftigt habe. Aber die Bedeutung dieser Jahre und dieses Studiums für den Alltag der Universitäten wird doch erheblich überschätzt.
Seien wir doch ehrlich. Wenn man überhaupt Spaß am Lernen und Studieren hat, dann ist es nur logisch, dass man höhere Abschlüsse anstrebt. In der Highschool lernt man den Stoff, den andere für wichtig halten. Das College bietet in dieser Hinsicht etwas mehr Freiheit: Man kann sein Studiengebiet auf ein allgemeines Thema seiner Wahl einschränken – muss aber immer noch lästige Pflichtkurse absolvieren, an denen man absolut kein Interesse hat. Wer einen Magistertitel anstrebt, kann den Lernstoff noch weiter auf seine eigenen Interessen zuschneiden. Ich für meinen Teil konnte zum Beispiel lauter Kurse wählen, die mit
Anthropologie zu tun hatten. Doch sogar innerhalb dieses begrenzten Bereichs möchte man sich noch weiter spezialisieren. Ich wollte reale Menschen in der realen Welt studieren, aber ich musste drei Pflichtscheine in Archäologie machen. Sie waren nicht ganz so schrecklich wie die Mathematikkurse, mit denen man mich im Grundstudium gequält hat, aber auch nicht gerade der Hit.
Erst wenn man promoviert, besucht man nur noch Kurse, die einen wirklich interessieren, die sich direkt mit den eigenen Lieblingsthemen befassen. Das zieht sich über zwei Jahre hin, dann kommen die umfassenden Prüfungen und schließlich die endgültige Spezialisierung, die Dissertation.
Nun muss man über ein Thema schreiben, über das noch kein anderer je zuvor geschrieben hat. Dieser Schritt führt einen ans Ziel der eigenen Träume: Man erwirbt einen Doktortitel und
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