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Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Angell
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wirklich interessante Erfahrungen gemacht. Ich habe zwei Jahre lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Geisteswissenschaften des MIT gearbeitet. Dort habe ich Klausuren korrigiert, die für Seminare mit Titeln wie »Mystizismus und Gnostizismus in der Literatur« oder »Das Böse als literarisches Sujet« geschrieben
wurden. Das Thema dieser schriftlichen Arbeiten konnten die Studenten selbst wählen, und schon die schiere Bandbreite der behandelten Gegenstände war Schwindel erregend. Für mich war es eine außergewöhnliche Erfahrung, und ich habe nie wieder etwas erlebt, das auch nur ansatzweise an diese Form von Kreativität heranreichte. Es war etwas ganz Besonderes, sogar an diesem Ort, wo herausragende wissenschaftliche Leistungen Hand in Hand mit einer bewussten und gewollten Exzentrik zu gehen scheinen.
    Doch der Kurs über Prostitution erwies sich als eine Erfahrung, die sogar noch spannender zu werden versprach.
    Bei manchen Kursen erkennt man ein bestimmtes Muster bei der Anmeldung. Jedes Mal wenn ich das Seminar »Über Tod und Sterben« unterrichtete, wusste ich zum Beispiel schon vorher, dass ich in den ersten Sitzungen diejenigen Teilnehmer aussortieren musste, die wirklich nicht am Kursus teilnehmen sollten. Menschen, die gerade einen Todesfall erlebt hatten und eher eine Therapie als eine wissenschaftliche Diskussion brauchten. Grufties mit schwarzer Kleidung und langen schwarz lackierten Fingernägeln.
    Ich rechnete damit, dass sich mindestens zwei Personengruppen für »Die Geschichte und Soziologie der Prostitution« anmelden würden. Zum einen erwartete ich einige Feministinnen, Frauen mit einer Mission, die Prostitution entweder als Unterdrückung anprangern oder sich für eine Legalisierung einsetzen würden. Zum anderen erwartete ich eine gewisse Anzahl von Studenten, die sich in erster Linie aufgeilen wollten und gern über Sex redeten. Darüber hinaus rechnete ich mit mindestens einem jungen Konservativen, der Informationen über ein zündendes Thema für seine politische Karriere sammeln wollte. Und ich hoffte natürlich, dass auch einige aufgeschlossene Leute mit echtem Interesse kommen würden.
    Die erste Sitzung entscheidet immer über den Ton der Veranstaltung.
Ich wollte gern eine Atmosphäre schaffen, die sich durch wenig Stress, gute Kommunikation und bedeutsame Lernerfahrungen auszeichnete. Ich sollte hier gleich zu Anfang sagen, dass ich nichts von »offenen« Lehrveranstaltungen halte, in denen ausschließlich diskutiert wird. Wer das möchte, sollte das nächstgelegene Starbucks-Café aufsuchen. Es muss einen Grund dafür geben, dass man nachdenkliche, gebildete Menschen als Hochschullehrer einstellt, und für mich gehört zum Unterrichten, dass ich Wissen vermittle und den Studenten als Mentorin zur Seite stehe.
    Wir stellten uns alle auf die übliche, etwas gefühlsduselige Art vor, was eigentlich ganz hilfreich für meine Zwecke ist, weil reihum alle Studenten sagen, wer sie sind und warum sie diesen speziellen Kurs gewählt haben. Dann schilderte ich kurz meinen Werdegang als Wissenschaftlerin, hörte mich sagen, dass ich ein Buch über Prostitution plante (die Idee war mir in dieser Sekunde gekommen), und fügte hinzu, dass ich als freie Dozentin nicht über ein eigenes Büro verfügte, und die »Sprechstunden« deshalb direkt vor und nach dem Kurs stattfänden.
    Anschließend gingen wir gemeinsam den Lehrplan durch. Ich erklärte die verschiedenen Leistungsnachweise, die ich erwartete, und wies auf die Bücher hin, die gekauft und gelesen werden mussten.
    Dann sprach ich eine Weile über die Schwerpunktthemen der nächsten vier Monate. »Über Sex zu reden ist nicht mehr das Tabu, das es einmal war. Doch über Prostitution zu reden ist nach wie vor ein Tabu, das heißt, außer im Rahmen schmutziger Witze oder anzüglicher Kommentare.«
    Ich wanderte durch den Raum. »Wir wollen in diesem Semester sowohl die Geschichte der Prostitution erforschen als auch die Frage, welche Formen sie im Laufe der Jahrhunderte angenommen hat – und wie der Mainstream der Gesellschaft damit umgegangen ist. Dann wollen wir die Bedeutung in einem eher
anthropologischen Kontext betrachten. Wir werden einen Blick auf die alten Zivilisationen des Mittelmeerraums werfen sowie auf alte Kulturen in China, Korea und Südamerika. Wie wir sehen werden, hat das älteste Gewerbe der Welt tatsächlich in allen geschichtlichen Epochen floriert, und wir wollen nach den Gründen fragen. Wir

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