Callgirl
die Last, die ich durchs Leben tragen musste, leichter war. Ich musste mich nicht mit der Erinnerung an einen Vater herumschlagen, der mich grausam gequält hatte, und an eine Mutter, die sich von mir abgewandt hatte.
Vielleicht suche ich auch immer noch nach Entschuldigungen für sie.
Ich kenne eine andere Frau, die für Peach gearbeitet hat. Sie wurde von einer Gang vergewaltigt, als sie 15 war, überlebte eine illegale Abtreibung und einen Selbstmordversuch und drei Beziehungen mit gewalttätigen Männern. Sie war drogenabhängig, und sie hat es geschafft, wieder davon loszukommen. Vielleicht ist das Entscheidende nicht, wie groß die Bürde, sondern wie groß die eigene Courage ist.
Vielleicht ist es auch reines Glück.
Wenn ja, dann hatte ich Glück und Sophie nicht.
Auch heute noch vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an sie denke. Ich habe viele Erinnerungen an jene Zeit meines Lebens,
aber nur Sophie verfolgt mich in meinen Träumen, lässt mich weinend aus dem Schlaf schrecken. Mein Mann hat sich an meine Albträume gewöhnt. Er nimmt mich einfach in den Arm und stellt keine Fragen.
Vor einigen Jahren habe ich an einem Seminar über Drogenmissbrauch teilgenommen und ganz genau erfahren, was das Kokain im Körper anrichtet. Es gibt eine Substanz im Gehirn, das so genannte Dopamin. Dopamin ist unser Freund. Es sorgt dafür, dass wir guter Laune sind, uns glücklich und manchmal sogar euphorisch fühlen. Unser Gehirn weiß ziemlich genau, wie viel Dopamin es ausschütten muss, damit wir guter Stimmung bleiben.
Das Kokain wirkt sehr schnell und sehr intensiv. Es blockiert das Dopamin, aber unser Gehirn kümmert sich nicht darum, weil das Kokain viel besser ist als der übliche hauseigene »Stoff«. Wer braucht Dopamin, wenn er diese Hochstimmung haben kann? Aber niemand kann ununterbrochen high bleiben, und sobald man von dem Trip herunterkommt, geht auch die Stimmung in den Keller.
Der Haken ist, dass zwischenzeitlich unsere Dopamin-Produzenten einen Blick auf die vom Kokain bewirkte Euphorie geworfen und entschieden haben, dass wir nichts anderes mehr brauchen. Deshalb verlangsamt sich die Dopamin-Produktion und wird manchmal sogar ganz eingestellt, so dass man sich letztlich viel schlechter fühlt als vor dem Augenblick, in dem man sich zum ersten Mal einen Strohhalm in die Nase steckte. Man leidet nicht nur darunter, dass die euphorisierende Wirkung des Kokains nachlässt, sondern hat auch sein normales Stimmungsniveau, seine normale gute Laune verloren.
Die traurige Realität ist, dass man sich niemals, niemals, niemals wieder so euphorisch fühlen wird wie beim allerersten Mal, als man die Droge ausprobierte. Man hört nicht auf, daran zu glauben, dass sich dieses Erlebnis wiederholen lässt – nur noch
diese eine Linie, nur noch diesen einen Hit und alles wird gut … aber man kämpft gegen die Chemie. Man kämpft gegen die Realität. Sucht ist eine Geschichte, die nur ein einziges Ende kennt.
Manchmal jagt mir das Ausmaß, in dem ich damit geflirtet habe, eine Heidenangst ein.
Ich denke an Sophie, und mir wird klar, dass es auf der ganzen Welt niemals genug von irgendwas gegeben hätte, um sie zu heilen. Nicht genug Dopamin. Nicht genug Kokain. Nicht genug Alkohol. Nicht genug Sex. Nicht genug Freundschaft. Nicht einmal genug Liebe.
Kapitel 11
Eines gab es in meinem Leben, das ich eifersüchtig vor meiner schwierigen Beziehung zu Sophie beschützte: meine Unterrichtstätigkeit. Sogar zu Beginn unserer Freundschaft warnte mich irgendein sechster Sinn davor, sie in diesen Teil meines Lebens einzubeziehen. Ich habe Sophie oder das, was mit ihr geschah, vielleicht nicht so klar erkannt, wie es möglich gewesen wäre, aber auf irgendeiner Ebene war mir bewusst, dass eine Katastrophe die Folge sein musste, wenn ich Sophie Zutritt zu meiner anderen Welt gewährte. Sogar wenn ich einen Abend oder einen Nachmittag mit ihr verbrachte, sogar in der Zeit, als ich mit dem Crack liebäugelte, sorgte ich dafür, dass ich weiterhin unterrichten konnte.
Auch in dieser Hinsicht hatte ich Glück. Vielleicht steckte hinter dem sechsten Sinn ja in Wirklichkeit die Stimme von Maria Magdalena, meiner selbst erkorenen Schutzheiligen. Mein Verdienst war es jedenfalls nicht.
Doch offenbar sollte ich für meine Mühen belohnt werden, denn wie sich herausstellte, erwies sich der Kursus über Prostitution als der interessanteste, den ich je unterrichtete.
Ich sage das nicht leichtfertig, denn ich habe einige
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